5. Zyklus / 2. Woche
Mittwoch, 21.10.2020
Mein Schlafrhythmus ist völlig hinüber. Zwischen Mitternacht und 7 Uhr, als ich endgültig aufgestanden bin, habe ich höchstens zwei Stunden geschlafen. Zwischenzeitlich war ich bestimmt 5 mal auf der Toilette und habe eine Packung Taschentücher verbraucht.
Janina geht heute wieder zum ersten Mal arbeiten und ich fahre sie zum Bahnhof. Ich bin sehr gespannt, wie lange sie mit ihrer Schiene am Schreibtisch durchhält.
Das Intervallfasten hat noch nicht wirklich geklappt, ein paar Nüsse habe ich abends doch noch gegessen. Trotzdem erhalte ich von der Waage eine erste Erfolgsmeldung, 86,5 kg. Mit meinem Gewicht geht es abwärts.
Die üblen Nebenwirkungen haben noch nicht eingesetzt, nur die nicht so tragischen. Manche habe ich noch nicht erwähnt, weil sie so selten oder nicht so schlimm sind, aber es gibt sie.
Dazu zählen ein gelegentlicher Juckreiz im Bereich der Brust, meine Tinnitus ändern öfter man die Frequenz, insgesamt kommt es mir so vor, noch etwas schlechter zu hören, als sonst und wenn der Geschmackssinn aus der Reihe tanzt, spüre ich auch eine Veränderung der Mundschleimhaut im Wangenbereich und ganz selten an der Zunge.
Schlimmer finde ich jedoch, dass meine Haut, was ich wochenlang versucht habe zu ignorieren, angefangen hat, mehr Falten zu schlagen, vor allem an der Stirn. Meinen dicken Faltenhals mit Doppelkinn und die Hängebacken kann ich auch nicht verstecken. Ich glaube, insgesamt älter auszusehen, als vor meiner Erkrankung. Hoffentlich wird das nach der Chemotherapie noch einmal besser.
Janina hat volle 6 Stunden gearbeitet und ich hole sie ab, damit sie nicht durch Darmstadt humpeln muss. Sie sieht aus, wie das Leiden Christie. Eine berufliche Wiedereingliederung wäre sicher besser gewesen, aber sie lässt sich da von mir nicht reinreden.
Obwohl mich meine Erkältung voll im Griff hat, raffe ich mich am späten Nachmittag doch noch auf, um spazieren zu gehen. Zum Glück, danach geht es mir deutlich besser. Die frische Luft hat mir gut getan. Ella die treue Seele hat sich nach meinem Wohlbefinden erkundigt und ich erreiche sie, nachdem wir zwei Tage lang aneinander vorbei telefoniert haben. Dabei genieße ich einen wunderschönen Sonnenuntergang, den ich nach unserem Telefonat fotografiere und ihr schicke.
Donnerstag, 22.10.2020
Nach einer weiteren Nacht mit vielen Unterbrechungen beim Schlafen fahre ich Janina zur Arbeit. Gestern im Zug war es sehr voll und wir wollen nicht das Risiko eingehen, uns Corona ins Haus zu holen. Davon abgesehen habe ich heute wieder einen Labortermin in der Onkologie und wir können das miteinander verbinden.
Der Server in der Praxis funktioniert wieder Und ich muss noch einmal in diesem Quartal meine Krankenversicherungskarte vorlegen. Anscheinend sind eine Menge Daten weg, zumindest die Termine. Deshalb habe ich meinen Terminplan mitgebracht, damit sie ihn sich kopieren und später wieder eintragen können.
Auf meinen Reha-Antrag muss ich aber noch eine Weile warten, bis sich das organisatorische Chaos in der Praxis wieder gelegt hat. Es eilt aber auch noch nicht. Das tagelange Ausfallen eines Rechners in einer Praxis lässt sich nur noch durch einen totalen Stromausfall toppen.
Wieder zu Hause angekommen fange ich, weil es mir relativ gut geht, an, dem Herbstlaub, wovon wir jede Menge haben, in Hof und Garten den Kampf anzusagen. Nach 2 ½ Stunden bin ich fertig. Im wahrsten Sinne des Wortes. Es war wohl doch etwas viel, denn ich habe zwischenzeitlich immer wieder kurze Verschnaufpausen gebraucht.
Trotzdem bin ich auf das erreichte etwas stolz, auch wenn ich auf der Leiter schon ein mulmiges Gefühl hatte, weil ich körperlich nahe an meinem Limit war.
Immerhin ist die Regenrinne von unserer Scheune wieder sauber, die Glyzinie frisch frisiert, für allerlei Insekten oder auch Igel habe ich ein Laublager im Garten errichtet und so ganz nebenbei das Restliche aus dem Garten, von der Terrasse und dem Hof entsorgt. Von der Menge an Laub, die bei uns jeden Herbst anfällt, habe ich aber höchstens ein Drittel geschafft. In ein paar Tagen sieht es wieder so aus wie heute früh. Nur die Regenrinne läuft bei dem nächsten starken Regen nicht mehr über.
Im Gegensatz zum 4. Zyklus geht es mir trotz der Anstrengung besser. Mein Geschmackssinn fährt zwar Achterbahn, im Bauch rumort es teilweise gewaltig und hier und da zwickt es einmal kurz, aber es ist sogar ohne Magentablette aushaltbar. Schlecht ist mir nicht.
Die nervende Erkältung läuft irgendwie parallel. Ich huste mir fast die Lunge aus dem Leib und was da rauskommt, will kein Mensch wissen. Meine Nase ist vom vielen putzen wund und ich muss aufpassen, dass mir die linke Stirnhöhle nicht zu geht.
Leider habe ich eine schiefe Nasenscheidewand und einen entsprechend engen Durchgang zur Stirnhöhle. Wenn da dicht ist, hilft nur Antibiotika und ich weiß nicht, ob sich das mit der Chemotherapie verträgt. Also halte ich die Nase mit den üblichen Mitteln am Laufen.
Obwohl es mir relativ gut geht, meint Janina, dass ich Scheiße aussehe. Bei einem Blick in den Spiegel muss ich ihr leider recht geben.
Am frühen Abend schaffe ich es tatsächlich, mir für meine Website einen Host auszusuchen. Wenn mir jetzt noch eine Domain einfällt, die auch frei ist, kann ich damit loslegen.
Freitag, 23.10.2020
Meine Erkältung macht mich fertig.
Schlafmangel ist angesagt, weil ich dauernd wach werde und husten muss. Bis ich danach wieder eingeschlafen bin, dauert jedes Mal und wenn ich es irgendwann geschafft habe, werde ich bald danach wieder wach, weil ich wieder husten muss. Immerhin habe ich es bis jetzt geschafft, meine Stirnhöhle frei zu halten.
Die Nebenwirkungen von Zyklus 5 sind geringer geblieben, als beim letzten Mal. Vielleicht bin ich aber auch so mit meiner Erkältung beschäftigt, dass es mir einfach nicht auffällt. Die Schleimhautveränderungen im Mund sind fast weg, trotzdem schmecke ich nicht viel. Das muss wohl an meiner verstopften Nase liegen.
Samstag, 24.10.2020
Nachdem ich wieder eine Hustennacht hinter mir habe, beschließe ich, am Montag zum Arzt zu gehen. Vorher muss ich meinen Onkologen noch fragen, ob er Einwände gegen irgendwelche Erkältungsmedikamente hat.
Ich bin von den letzten Nächten wie gerädert. Zu allem Überfluss habe ich vom ständigen Husten jetzt auch noch üblen Bauchmuskelkater und ich frage mich, ob man sich dabei einen Muskelfaserriss zuziehen kann, weil es an einer Stelle beim Husten wirklich weh tut.
Janina geht mit Felicia shoppen.
Nachdem ich den ganzen Vormittag nicht wirklich in die Gänge gekommen bin und es gerade so geschafft habe, das gesammelte Laub zur Kompostierungsanlage zu bringen, nehme ich mir vor, zu schreiben und mir Gedanken über den Namen meiner Website zu machen.
Während ich krampfhaft versuche, mir ein paar Zeilen aus den Rippen zu saugen, merke ich, dass draußen das beste Wetter ist. Ich breche meine Schreibversuche ab, greife mir das Telefon und versuche, Alex zu erreichen.
Das klappt leider nicht. Schade, wir hätten uns in Münster im Freizeitzentrum bei Axel treffen können, um ein paar Meter zu laufen.
Holly erreiche ich aber. Für meine Idee, mit ihr ins Freizeitzentrum zu spazieren, ist es leider zu spät. Sie macht genau das mit Kind und Kegel und ist schon auf dem Weg. Also setzte ich mich ins Auto und wir treffen uns dort.
Kind und Kegel besteht heute aus zwei Kinder, zwei Enkelkindern und dem Hund. Eine Runde zusammen zu spazieren fällt aus. Sie sind von zu Hause ja schon hingelaufen. Also bleibt es bei leckerem Kaffee und Kuchen. Auszeit bei Axel kann ich nur empfehlen.
Wieder zu Hause lege ich mich erst Mal auf die Couch und versuche zu schlafen. Das klappt irgendwie nicht und ich sehe mir die Sportschau an, bis das Essen fertig ist.
Sonntag, 25.10.2020
Ich würde so gerne mal durchschlafen, aber das kann ich vergessen. Spontan kann ich mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal das Vergnügen hatte. Mit jedem Zyklus muss ich nachts dauernd auf die Toilette. Das lässt nach ein paar Tagen aber nach. Dieses Mal habe ich durch meine Erkältung eine Verlängerung der schlaflosen Nächte bekommen.
Eigenartigerweise macht sich mein Husten manchmal stundenlang rar, um mich dann wieder minutenlang am Stück zu quälen. Mir fehlt dann die Zeit, genug Luft zu holen und mir wird schwindelig. Ich habe Bauchmuskelkater vom Feinsten und seit heute Nacht ist es beim Husten an einer Stelle richtig schmerzhaft. Ich frage mich, ob es möglich ist, dass ich einen Muskelfaserriss habe. Es sticht dermaßen, dass ich beim Husten mit der Hand auf meinen Bauch presse, damit der Schmerz erträglicher wird.
Um die in Fleisch und Blut übergegangene Schonhaltung loszuwerden, soll Janina mit Walkingstöcken gehen, damit sie wieder anfängt, den Fuß richtig abzurollen und das Bein möglichst durchzustrecken. Mir fällt ein, dass meine Schwester Friederike solche Stöcke hat. Ich rufe an und wir besuchen sie, um uns die Dinger auszuleihen, damit Janina sich nicht mit ihren Krücken behelfen muss.
Seit ich an Krebs erkrankt bin, haben wir nur telefoniert. Hermann, ihr Mann, ist auf seinen Streuobstwiesen Äpfel pflücken und wir beschließen, ihn dort zu Fuß zu besuchen. Als wir uns auf den Weg machen, kommt er schon wieder nach Hause aber wir laufen trotzdem noch einmal zusammen dort hin.
Janina macht das gut, aber natürlich noch sehr langsam, weil sie bei jedem Schritt auf ihren Gang achtet. In aller Gemütsruhe laufen wir dann doch fast 2 Kilometer.
Von der reichen Apfelernte nehmen wir eine ordentliche Ladung mit und Janina kocht nach der gemeinsamen Schälaktion Apfelbrei. Ich bin gespannt, wie das schmeckt. Die Äpfel selbst waren lecker.
Die Suche nach einer Domain gestaltet sich schwierig. Alles, was mir in den Sinn kommt, ist leider schon vergeben.
Ich versuche zu schreiben, aber es klappt nicht wirklich. Also versuche ich, eine Mütze voll Schlaf zu bekommen. Kaum liege ich einschlafend auf der Couch, meldet sich mein Husten zurück. Es ist zum Mäusemelken.
Montag, 26.10.2020
Ich rufe meinen Onkologen an, weil ich wissen will, ob es Erkältungsmedikamente gibt, die ich wegen der Chemotherapie besser nicht nehmen soll.
Das hätte ich besser sein lassen. Er hat zwar keine Einwände, aber er besteht darauf, dass ich einen Corona-Test machen lasse. Ohne einen negativen Test könne ich nicht in die Praxis kommen.
Na toll. Anstatt mir die Decke über den Kopf zu ziehen und mich gesund zu schlafen, soll ich mich jetzt stundenlang in eine Warteschlange stellen.
Weil ich von den letzten Nächten total fertig bin, beschließe ich erst einmal, nur um die Ecke zur Apotheke zu gehen und mir einen Hustenblocker zu holen, damit ich einmal ein paar Stunden am Stück schlafen kann. Der Hustensaft und die Lutschtabletten bringen aber leider nicht den gewünschten Effekt.
Nachdem ich eingesehen habe, dass es keinen Sinn hat, beschließe ich, morgen doch zum Arzt zu gehen. Dann kann ich auch gleich danach fragen, ob sie auch einen Corona-Test machen können.
Dienstag, 27.10.2020
Nachdem wegen meinem Husten wieder keiner durchschlafen kann, ich wecke damit Janina und Felicia, obwohl ich im Wohnzimmer schlafe, ist es an der Zeit, den Hausarztbesuch nicht weiter auf die lange Bank zu schieben.
Da ich keine Lust habe, mir einen Termin geben zu lassen, gehe ich einfach hin.
Die unsympathische Sprechstundenhilfe sagt mir, dass ich mit einer Erkältung nicht einfach so in die Praxis kommen kann. Als ich dann auch noch nach einem Corona-Test frage, den ich ja leider brauche, sagt sie mir, ich könne morgen einen Termin bekommen und auf die Rückseite der Praxis kommen, dort würde mir ein Abstrich genommen. Es würde aber 80 € kosten.
Fassungslos frage ich nach, ob das nicht auch irgendwo kostenfrei geht und sie verweist mich an eine Corona-Teststelle in Darmstadt. Sie wisse aber nicht, ob es dort nicht auch Geld kostet. Einen Arzt zu Gesicht zu bekommen, habe ich bei ihr keine Chance.
Ich konnte sie noch nie leiden, aber jetzt ist sie endgültig bei mir untendurch.
Meine Krankmeldung läuft heute ab. Ich brauche eine neue. Also beschließe ich, mir auf dem Weg zum Onkologen die Corona-Teststelle in Darmstadt einmal anzusehen.
Weil sicher mit Wartezeiten zu rechnen ist, gehe ich davon aus, heute ohnehin nicht mehr an die Reihe zu kommen, aber ich will wissen, was es eventuell kostet und ob eine Überweisung die Kosten reduziert.
Als ich gegen 11.30 Uhr dort ankomme, reicht die Schlange bis auf die Straße. Geschätzt über 150 Menschen wollen sich testen lassen.
Ich frage ein paar Leute, ob sie etwas über die Kosten wissen oder ob sie eine Überweisung haben. Alle, die ich gefragt habe, haben eine Überweisung und eine Frau sagt mir, sie warte schon seit 8 Uhr.
Sie empfiehlt mir, morgen schon um 6 Uhr zu kommen oder lieber die 80 € beim Hausarzt zu bezahlen. Es gäbe nicht einmal eine Toilette für die Wartenden.
Über die Kosten erhalte ich leider keine Auskunft. An der Schlange vorbei nach vorne zu gehen, um zu fragen, finde ich als Hochrisikopatient nicht angebracht.
Wer weiß, wie viele der Wartenden Corona haben.
Beim Onkologen frage ich nach einer Überweisung, bekomme jedoch keine. Dafür aber wenigstens eine Folgebescheinigung meiner Krankmeldung.
Einerseits wollen sie in der Praxis eine negative Corona-Bescheinigung, andererseits bekomme ich keine Überweisung. Das kann verstehen, wer will.
Ich komme also nicht darum herum, mich morgen in die Schlange zu stellen, damit ich früh erfahre, ob es etwas kostet oder nicht. Wenn es genau so teuer sein sollte, wie beim Hausarzt, gehe ich auf jeden Fall dort hin, bevor ich den ganzen Vormittag mit warten verbringe.
Mittlerweile mache ich mir selbst Sorgen, der Test bei mir könne positiv sein. Ich ärgere mich schon über eine Woche mit meiner blöden Erkältung herum und ich sollte schon längst auf dem Weg der Besserung sein. Das bin ich aber nicht.
Wo ich mir Corona aber eingefangen haben soll, ist mir schleierhaft. Ich hatte in der Zeit vor meiner Erkältung nur Kontakt zu Alex und als wir auf dem Weg nach Stuttgart waren, hatte ich ja schon die ersten Anzeichen, also scheidet der Mann, der den Audi A6 verkaufen wollte, auch aus. Wenn ein Test also positiv ausfallen würde, kann ich es mir nur von Janina und Felicia geholt haben.
Ich will nächste Woche meinen letzten Zyklus hinter mich bringen. Was geschehen soll, wenn mein Abstrich wider Erwarten positiv sein sollte, würde ich schon gerne wissen.
Ob ich dann im Krankenhaus unter Quarantäne meinen letzten Zyklus bekomme?