6. Zyklus / 3. Woche
Mittwoch, 18.11.2020
Mit frisch rasierter Glatze mache ich mich früh auf den Weg zum Hausarzt.
Als ich beim letzten Mal den Weg gelaufen bin, hatte ich mir vorgenommen, beim nächsten Mal das Fahrrad zu nehmen, aber dafür fehlt mir heute die Motivation. Immerhin lasse ich das Auto stehen und mache mich wieder zu Fuß auf den Weg.
Mein Hausarzt kann mich zum Glück beruhigen. Es sieht wirklich nicht aus, als würde mir ein Geschwür im Rachen wachsen. Dafür entdeckt er an der Stelle, die ich ihm genau beschreiben kann, eine entzündete Verletzung am Gaumen und mir fallen die Chips vom letzten Sonntag ein.
Wegen meinem gedrosselten Immunsystem sollte ich meinen in Mitleidenschaft gezogenen Schleimhäuten so etwas besser nicht zumuten. Das habe ich aber gemacht und ich kann es nicht fassen, dass ich mich beim Essen von Chips am Gaumen verletzt haben soll. An eine andere Ursache kann ich mich aber nicht erinnern.
In der Apotheke soll ich mir ein Spray gegen Mundschleimhautentzündungen kaufen. Das gibt es leider nicht auf Rezept, aber das ist mir egal, Hauptsache es hilft. Leider haben sie es nicht vorrätig und ich kann es mir erst nach 16 Uhr abholen, Mist.
Als ich es mir endlich in den Rachen sprühen kann, muss ich feststellen, dass es zwar kurz eklig schmeckt, aber es hilft relativ schnell und die Schmerzen lassen endlich nach.
Gut amüsiert habe ich mich über eine Nachricht von Tatjana, die sie mir weitergeleitet hat.
Angeblich ist heute Weltlachtag und sie hat mir eine Sammlung von Flachwitzen geschickt, über die ich mich teilweise echt weggeschmissen habe und zum Glück schmerzfrei lachen kann.
Hier ein paar der, nach meiner Meinung, besten Sprüche:
Wie nennt man einen kleinen Türsteher? – Sicherheitshalber
Womit werden Fußbälle bemalt? – Mit Ballack
Wie viel wiegen ein Pferd und ein Hund zusammen? – Ein Pfund
Wie nennt man Sex mit Gegenständen? – Dingsbums
Nachdem ich endlich eine „Aufruf-„ und eine „Wer will“ Seite ins Netz gestellt habe, leite ich die Witze an meine Einschulungs-Jahrgangsgruppe-1974 Käthe-Paulus-Schule bei WhatsApp weiter, um den Laden mal zu wecken.
Da wegen Corona in diesem Jahr kein Treffen stattgefunden hat, ist in der Gruppe nicht viel los. Sie mit Witzen zu wecken, finde ich nicht die schlechteste Idee.
Morgen will ich meinen Link in die Gruppe stellen und ich bin sehr gespannt, was dann passiert. Nur das sprechende Saxophon (Talking Sax) und einer, dem ich am See begegnet bin, wissen schon Bescheid.
Einmal davon abgesehen, dass es an der Zeit ist, meine Geschichte zu verbreiten, ich muss dringend die Optimierung für die Suchmaschinen machen, gehört mein Jahrgang auch zu den nächsten, die ich selbst darüber informieren will, was mit mir los ist.
Außerdem erhoffe ich mir, Reaktionen zu erhalten. Mit vielen aus meinem Jahrgang, das ist wohl so wie überall, habe ich keinen oder nicht viel Kontakt. Trotzdem sind sie der beste Probelauf, den ich mir vorstellen kann. Der Bildungsstand geht durch alle Schichten und wir sind in einem Alter, wo andere vielleicht ähnliche Probleme haben oder solche Menschen kennen, sie sind also meine Zielgruppe oder nahe daran.
Donnerstag, 19.11.2020
Bis gestern Abend habe ich es geschafft, vier Tage nicht zu rauchen. Mein Husten geht so. Früh am Morgen ist es am Schlimmsten, wohl typischer Raucherhusten, aber das Spray hat schon geholfen. Meine Schluckbeschwerden sind erträglicher geworden.
Gegen 9 Uhr schaue ich bei WhatsApp rein und stelle fest, dass mein Weckruf wohl nicht richtig funktioniert hat. Nur zwei Leute von meinem Jahrgang haben auf die Witze reagiert. Dafür sind aber drei aus der Gruppe ausgetreten. Ich habe Bedenken, dass noch mehr auf die Idee kommen, obwohl die Witze doch nicht so schlecht waren…
Nein, ich denke, dass es andere Gründe hat, aber bevor eine Kettenreaktion daraus wird, sehe ich zu, dass ich meinen Link mit dazugehörender, hoffentlich Neugier erzeugender Nachricht in die Gruppe stelle.
Ich durchforste meine Kontakte und verschicke meinen Link an Leute, die in keiner der Gruppen sind, die ich bisher nur angeschrieben habe.
Knapp eine Stunde später bekomme ich eine erste Reaktion, um die Mittagszeit werden es mehr, manche nutzen wohl die Pause. Ich erhalte über den Tag verteilt Nachrichten in der Gruppe, persönliche, einige Mails und Anrufe.
Den Rest des Tages bin ich mit telefonieren und antworten auf Mails und WhatsApp Nachrichten beschäftigt, obwohl ich mich heute eigentlich mit meinem Tagebuch befassen wollte. Ich schaffe es nicht einmal, allen zu antworten.
Die Reaktionen, die ich erhalte, tun in der Seele gut und ich bin wieder positiv überrascht, wer darauf so alles reagiert.
Meine vergangene Erkältung, an die mich mein Husten nach wie vor regelmäßig erinnert, hat wohl meinen letzten Zyklus ordentlich durcheinander gebracht. Mein Geschmackssinn spielt mir wieder Streiche und vor dem Abendessen brauche ich dringend meine Magentablette und das zwei Wochen nach der letzten chemischen Keule. So spät habe ich mich noch nicht so intensiv mit den Nebenwirkungen beschäftigen müssen. Eigentlich sollte ich jetzt meine beschwerdearme Zeit haben.
Freitag, 20.11.2020
Auch wenn mein Raucherhusten nach 5 Tagen nicht rauchen langsam etwas nachlässt und meine Schluckbeschwerden fast weg sind, geht es mir doch bescheiden.
Es ist wieder einer dieser Tage, wie ich sie während meiner Chemotherapie oft erlebt habe. Müde und Erschöpft vom Nichtstun schon nach dem Aufstehen, Fatigue ist der Fachbegriff, ist echt eine blöde Nebenwirkung.
Der Elan, mit dem ich heute an meinem Tagebuch schreiben wollte, ist unauffindbar. Ich beschäftige mich mit Reaktionen lesen, telefonieren und Antworten schreiben, das ist deutlich leichter als Tagebuch.
Ich mache mir Gedanken über meine Website, ohne daran zu arbeiten. Über Suchmaschinen denke ich auch nach, ohne meinen Internetauftritt dafür zu optimieren.
Alex meldet sich und kommt mich spontan besuchen, mit eigenem Auto. Ich bin erst gespannt und als ich aus dem Fenster einen Mercedes Kombi mit Offenbacher Kennzeichen auf der Parkplatzsuche sehe, fange ich an, mir über die Initialen auf dem Nummernschild Gedanken zu machen und obwohl ich mir nicht wirklich einen Reim daraus machen kann, kommen sie mir doch bekannt vor.
Ich gehe nach draußen, um ihm das Tor aufzumachen, aber es ist ihm zu eng und er stellt sich ins Halteverbot. Das Auto macht optisch einen guten Eindruck. Der Beifahrersitz ist meiner und wir fahren mal kurz um Ober-Ramstadt. Es ist ein scheckheftgepflegtes Frauenauto. Ich will natürlich wissen, wem er es abgekauft hat, auch oder erst recht, weil mir die Initialen bekannt vorkommen.
Warum denn in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Alex hat das Auto von meiner bei ihm um die Ecke wohnenden Cousine gekauft und wir sind bis hinter Stuttgart gefahren, um uns einen Haufen Schrott anzusehen.
Nicht nur weil ich total schlapp bin, biete ich Alex einen Kaffee an, aber er nimmt lieber einen Tee. Ich brauche einen Kaffee, um in die Gänge zu kommen und mein Magen verträgt ihn sogar einigermaßen.
Janina will unser Heimtrainer-Fahrrad aktivieren, um ihr durch den Muskelschwund verkümmertes Bein zu trainieren. Gut, dass Alex da ist, dann muss ich es nicht alleine aus dem Keller nach oben schleppen. Zu zweit geht das locker. Es ist nicht nur das Gewicht, es ist auch unhandlich.
Für Janina ist das Fahrrad zu schwergängig, selbst bei der leichtesten Stufe schafft sie es mit ihrem linken Bein kaum, über den höchsten Punkt zu kommen. Es macht noch keinen Sinn. Bei der Physiotherapie wissen sie wohl, warum Janina dort auch noch nicht auf dem Fahrrad sitzt. Sie will aber auch wieder mehr Beweglichkeit erreichen und strampelt einfach rückwärts, das geht viel leichter, Leerlauf eben, aber sicher besser als auf der Couch zu liegen.
Abends geht es mir etwas besser, ich fühle mich nicht mehr gar so schlapp. Das hat ja auch gefälligst so zu sein. Außer den Heimtrainer aus dem Keller zu holen, habe ich körperlich ja auch nichts geleistet.
Nach dem Abendessen ist mein Körper wohl der Meinung, mich nochmal daran erinnern zu müssen, dass ich noch lange nicht gesund bin, auch wenn ich für mich schon beschlossen habe, frei von Krebszellen zu sein. Der letzte Zyklus der Chemotherapie ist wohl noch nicht verdaut, deshalb meldet sich mein Magen.
Mir wird schlecht und ich muss dauernd aufstoßen, also behandele ich mich auf die harte Tour, Magentablette ohne vorherigen Magenschoner, dafür reicht die Zeit nicht mehr, damit ich die Tabletten für akuten starken Brechreiz nicht doch noch kurz vor der Ziellinie öffnen muss.
Es ist Zeit für die Horizontale.
Samstag, 21.11.2020
So richtig wohl ist mir heute auch noch nicht, aber deutlich besser als gestern Abend und ich bin auch nicht so schlapp wie gestern Früh. Halsschmerzen habe ich keine mehr, schlucken geht einwandfrei und der Husten ist auch weniger geworden. Das hat gefälligst auch so zu sein. Wenn der Tag heute vorbei ist, habe ich eine Woche nicht mehr geraucht.
An einem typischen Samstag wie heute habe ich, bis Janina aufsteht, schon mindestens drei Zigaretten geraucht. Zum Glück ist mir gar nicht danach zumute.
Ein weiterer Versuch, unsere Terrasse und den Garten vom Laub zu befreien, scheitert daran, dass mir vom vielen Bücken schlecht wird und ich muss nach der halben Terrasse aufhören. Beim letzten Versuch vor ein paar Tagen habe ich gerade so den Hof geschafft und aus dem gleichen Grund abbrechen müssen.
Nachdem ich wieder eingesehen habe, dass ich häufiges Bücken nicht so gut vertrage, schaffe ich es, ein paar Leuten zu antworten und bekomme zwei Nachrichten von Menschen, über die ich mich echt freue, weil ich wirklich nicht damit gerechnet habe, von ihnen etwas zu hören.
Janina und ich wollen eine Runde marschieren und weil wir rund um Ober-Ramstadt alles schon kennen und auch die Neunkirchener Höhe langsam ihren Reiz verliert, wollen wir zum Melibokus fahren und dort ein Stück gehen.
Der Weg auf den mich das Navi schicken will, endet an einem Privatweg mit Schranke. Die ist zwar offen, aber ob sie das auch ist, wenn wir wieder kommen, wissen die Götter. Der vor uns liegende Weg ist zu Fuß deutlich zu weit und so landen wir am Schloss Alsbach und genießen dort auf Rundkurs Nr. 3 die Herbstsonne. Dabei stoßen wir sogar auf den Alemannenweg, den Alex mit dem Fahrrad bezwungen hat.
Spät am Abend kann ich mich freuen, vor einer Woche habe ich die letzte Zigarette geraucht.
Sonntag, 22.11.2020
Es ist ein gemütlicher Sonntag mit vorerst ertragbaren Nebenwirkungen. Meine Gaumenverletzung ist geheilt, mein Geschmackssinn fast komplett, nach Zigaretten ist mir nicht zumute aber mein Husten bleibt mir weiterhin treu.
Meine Hustattacken sind zwar seltener geworden, aber wenn ich husten muss, ist es oft noch so schlimm, dass mir davon immer noch schwindelig wird. Zum Glück geht das mit dem Schwindel dann immer schnell vorbei.
Bis zur ersten Woche vom fünften Zyklus habe ich heute Text ins Netz gestellt und dann versucht, an meinem Tagebuch weiter zu schreiben. Es gibt aber Tage, an denen ich es sein lassen kann, weil es einfach nicht flutscht.
Denise schickt mir ein Bild von ihrem Patenkind. Er macht Werbung für den heutigen Tatort, weil der zum Teil in seiner Autowerkstatt gedreht wurde.
Ansonsten verbringen wir einen tiefenentspannten Sonntag zu Hause, bis mir vor dem Abendessen wieder schlecht wird.
Heute gehe ich es rechtzeitiger an und nachdem ich die Magenschonertablette genommen habe, können wir mit dem Essen noch eine Stunde warten, bis ich die Magentablette gegen Brechreiz auch genommen habe.
Zwischenzeitlich meldet sich Ella und will wissen, wie es mir und Janina geht. Mir geht es wegen meinem Magen gerade nicht so prickelnd. Deshalb beschließe ich, ihr später oder morgen zu antworten.
Es geht dann mit dem Essen, aber richtig schmecken tut mal wieder nichts. Das Frühstück war deutlich besser.
Tagesschau, Tatort (tolle Werkstatt für den jungen Kerl), gute Nacht.
Montag, 23.11.2020
Mein Terminzettel vom Onkologen sieht aus wie während der vergangenen 6 Zyklen. Mittwoch und Donnerstag habe ich 2 Mal Therapie darauf stehen, nur dass es dieses Mal keine Chemo gibt, sondern Antikörper.
Das bedeutet für mich, dass danach die Behandlung beendet ist und ich bin schon scharf darauf zu erfahren, was danach geschieht in Bezug auf eine Computertomographie oder sonstige Untersuchungen, um nachzuweisen, dass keine Krebszellen mehr nachzuweisen sind.
Ich arbeite innerlich aber schon so lange auf den Augenblick hin, an dem ich erfahre, wieder gesund zu sein, dass es mir nichts ausmacht, noch ein paar Tage darauf warten zu müssen. Also Geduld. Erst die Antikörper, dann wird untersucht, ist doch klar.
Für mich selbst habe ich beschlossen, am Donnerstag zum letzten Mal meinen Kopf zu rasieren, danach will ich die Haare wieder wachsen lassen, falls die anstehenden Antikörper dem Haarwuchs nichts mehr ausmachen.
Wie immer vor Therapieterminen geht es montags brav zum Onkologen, erst an die Zapfsäule um frisches Blut abzugeben, dann einen Zettel mit aufgelisteten Nebenwirkungen ankreuzen und anschließend zu Herrn Dingeldein.
Er spricht davon, dass ich es in drei Wochen geschafft haben werde und ich werde stutzig.
Es stellt sich heraus, dass sich wohl im Zuge der Serverprobleme in der Praxis ein Fehler eingeschlichen hat, Mist.
Mir wurde für Donnerstag ein Termin eingetragen, den mir Herr Dingeldein gleich wieder streicht.
Bis vor ein paar Minuten bin ich davon ausgegangen, dass die Termine für die Antikörper am 26.11.2020 vorbei sind und ich mir nach Donnerstag Gedanken darüber machen kann, wann ich mir den Port entfernen lasse, aber das hat sich leider gerade erledigt. Ich bekomme also am Mittwoch eine Ladung Antikörper und dann erst 3 Wochen später noch einmal.
Leicht angepisst, hatte ich mir doch schon das Ende meiner Behandlung und das feierliche letzte Kopfrasieren am Donnerstag ausgemalt, will ich wissen, ob mein Haarwuchs von den Antikörpern betroffen sein wird. Zum Glück ist das nicht so und ich muss den Plan für Donnerstag nur dahingehend ändern, dass ich nicht in die Praxis kommen muss.
Ich beschließe, mich nicht mehr darüber zu ärgern, es verbessert ja die Situation nicht. Es wäre sonst, wie sich über einen Stau aufzuregen, den man ja auch nicht wegärgern kann.
So nebenbei erfahre ich, dass ich während der ganzen sechs Zyklen vorher mittwochs immer eine Antikörperinfusion bekommen habe und die Hauptsache der Chemotherapie immer erst donnerstags. Das hatte ich die ganze Zeit nicht wirklich auf dem Schirm und dachte, dass alles mit der Chemotherapie zu tun hätte und nur danach Antikörper zum Einsatz kommen würden.
Wenn ich mit allem fertig bin, habe ich also acht Mal Antikörper und sechs Mal Chemotherapie bekommen. Soll mir auch recht sein.
Hauptsache mein Plan geht auf und die Tumore weg und kommen nicht wieder.
Meine Laborwerte sind in Ordnung und Herr Dingeldein fragt wie üblich nach den Nebenwirkungen, vor allem nach einem Kribbeln an Finger- oder Fußnägeln. Das muss ziemlich übel sein, weil das wohl, wenn man es einmal hat, nicht mehr weggeht. Beim kleinsten Anzeichen würde die Medikamentierung geändert werden, erzählt er mir.
Da ich die letzte Chemo aber schon hinter mir habe und nie Probleme in der Art hatte, interessiert es mich heute nicht mehr wirklich. Er fragt halt aus gutem Grund grundsätzlich immer nach.
Lieber einmal zu viel, als zu wenig.
Ich schildere ihm, dass zeitlich alles anders war, als bei den Zyklen zuvor. Die Nebenwirkungen waren wie immer, nur die Reihenfolge war eine komplett andere, als hätte jemand einen Würfelbecher ordentlich geschüttelt.
Nicht in bester Laune verlasse ich die Praxis mit einer neuen Folgebescheinigung meiner Krankmeldung. Der verdammte Serverabsturz geht mir langsam auf den Geist, weil auch meine Krankmeldung nicht stimmt. Nach ihr bin ich erst seit dem 27.10.2020 arbeitsunfähig. Das ist das Datum, an dem mir die letzte Folgebescheinigung ausgestellt wurde. Also mache ich auf dem Absatz kehrt, kläre das an der Anmeldung und warte anschließend mal wieder vor der Tür, bis ich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit den richtigen Daten erhalte.
Eine Überweisung für die hoffentlich abschließende Computertomographie erhalte ich auch. Ich bin davon ausgegangen, sie frühestens am Mittwoch zu erhalten und habe heute nicht danach gefragt.
Dienstag, 24.11.2020
Es ist wieder einer dieser Tage, an dem ich mich im Nachhinein frage, was ich den ganzen Tag gemacht habe.
In Gedanken war ich den ganzen Tag, außer als ich einen kleinen Mittagsschlaf gehalten habe, aber wirklich großes geleistet habe ich nicht. Meine Gedanken für großes zu halten, wäre anmaßend.
Über meine Gesundheit mache ich mir Gedanken und jede Menge Sorgen, wie meistens, bevor wieder eine Fortsetzung der Behandlung ansteht. Dass sie am Donnerstag nicht beendet ist, nervt mich doch irgendwie, obwohl es mir egal sein sollte, dass es jetzt einfach 3 Wochen länger dauert.
Es kommt mir jetzt beim Schreiben wie mein eigenes Jammern auf hohem Niveau vor. Wenn ich darüber nachdenke, welche Geschichten ich kenne und was andere in der Zeit ihrer Erkrankung mitgemacht haben. Schlimmer geht immer, ich bin bis jetzt einfach gut davon gekommen und sollte dafür dankbar sein.
Ich versuche gedanklich bei meinen exzellenten Heilungschancen zu bleiben, aber auch weil mir mein Raucherhusten so treu bleibt, habe ich Angst, es könnte noch eine Fortsetzung, nein eher eine Abwechslung kommen.
Zusammen mit Chemo die Lymphome rausgeworfen, dafür auf dem gut geteerten Weg Lungenkrebs einziehen lassen???
Ich will nicht sagen, dass ich jetzt auch noch Lungenkrebs verdient hätte, aber die Angst davor irgendwie schon.
Falls mir mein Versuch, keine Zigarette mehr anzustecken, gelingt, habe ich mit wenigen Wochen Unterbrechung 39 Jahre lang geraucht und mir war über 38 Jahre lang klar, dass ich damit meine Gesundheit aufs Spiel setze.
Seit Jahren gestehe ich es mir und anderen schon ein, deshalb kann ich es auch hier schreiben.
Ich bin nikotinsüchtig.
Anders lässt es sich nicht erklären, dass ich es, wohlwissend meine geliebte Gesundheit aufs Spiel zu setzten, nicht geschafft habe, dauerhaft damit aufzuhören, obwohl ein paar Anläufe echt hoffnungsvoll waren.
Ich bin gespannt wie es sich dieses Mal entwickelt.
Ich habe eine neue Motivation, nicht wieder anzufangen zu rauchen. Sie nennt sich Selbstachtung. Genau diese werde ich verlieren, wenn ich den Kampf nicht gewinne.
Es kann doch nicht sein, dass ich es mit Hilfe meiner Chemotherapie und positivem Denken schaffe, den Krebs zu bezwingen, um gegen Nikotin mal wieder in die Knie zu gehen.
Ich nehme es mir hier und jetzt beim Schreiben mit 6 Tagen Verzug noch einmal schriftlich vor:
Ich will meine Selbstachtung und meine erkämpfte Gesundheit nicht durch Zigaretten verlieren. Ich will nicht mehr rauchen!
In meinem Leben habe ich mir schon viel vorgenommen und es dann doch nicht getan. Auch oder gerade das hat dazu geführt, nicht gerade die größte Selbstachtung zu haben, weil mir klar ist, dass es nur am Tun hängt.
Seit einigen Jahren arbeite ich daran, mich in der Beziehung zu ändern. Wer gackert, muss auch ein Ei legen.
Aus diesem Grund bin ich vor ein paar Jahren die Gersprenz von ihrer Quelle, wie die der Modau auch auf der Neunkirchener Höhe im Odenwald entspringend, bis zur Mündung in den Main gewandert.
An der Fischtreppe dieser Mündung habe ich als Kind meinen ersten Fisch gefangen und als ich zum ersten Mal an der Quelle stand, kam mir in den Sinn, dass es doch gar nicht soo weit ist und habe in dem Augenblick beschlossen, irgendwann von der Quelle an die Mündung zu wandern.
Mein Beschluss war noch kein gackern. Gegackert habe ich auf der Suche nach jemandem, der Zeit und Lust hat, mitzuwandern. Das habe ich auch gezielt gemacht und mich damit gezwungen, die Sache anzugehen, alleine oder auch nicht, um nicht als Schwätzer dazustehen.
Das war ich in meinem Leben schon oft genug, auch wenn ich dazwischen auch oft ein Macher war.