Tagebuch Chemotherapie

1. Zyklus  / 1. Woche / 1. Tag



Mittwoch 22.07.2020


Erster Tag, das hat ja schon gut angefangen – das gestern bestellte Taxi ist nicht wie vereinbart um 7.30 Uhr gekommen. 5 Minuten nach der vereinbarten Zeit habe ich angerufen. Mir wurde zugesagt, dass das Taxi in 10 bis 15 Minuten da sei.

Um 8.00 Uhr, als ich schon beim Onkologen sein soll, habe ich erneut angerufen, angesäuert gesagt, dass das Taxi nicht mehr zu kommen braucht, habe mich ins Auto gesetzt und bin selbst gefahren.

Toll. Weil ich nach der Chemo nicht mehr fahren soll, hatte ich mir deshalb extra eine Verordnung einer Krankenbeförderung für die Zeit meiner Chemotherapie ausstellen lassen.

Meine Frau fährt zum Glück mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit nach Darmstadt, hat früher Feierabend gemacht und mich abgeholt.

Parkgebühr am Elisabethenstift 12,- Euro. Die sollte ich eigentlich von dem Taxiunternehmen, dass mich vergessen hat, einfordern.

 

Bis jetzt habe ich die chemische Keule gut vertragen, aber morgen gibt es schon die Fortsetzung. Den größten Teil habe ich heute verschlafen, weil ich in der Nacht zuvor oft und lange wach war.

Es geht mir relativ gut, etwas schwindelig und irgendwie Karussell im Kopf, aber zum Glück keinen Honig. Ich bin nur schlapp und müde.

Und Hunger habe ich, was mich doch wundert, nachdem ich es mir gestern richtig gut habe gehen lassen und futtere den ganzen Tag.

Solange mein Geruchs- und Geschmackssinn noch nicht beeinträchtig ist, will ich genießen.

 


Donnerstag 23.07.2020


Zweiter Tag, bis jetzt (15.00 Uhr) ist alles noch besser als gestern – keine spürbaren Nebenwirkungen. Auch das mit dem Taxi hat einwandfrei geklappt. Scheint ein verlässlicher Dienstleister zu sein.

Nebenwirkungen können zeitversetzt in Erscheinung treten, bin also gespannt, wie es mir heute Abend geht.


Bis zum Abend war alles gut, nur scheine ich fresssüchtig zu werden. Ein paarmal hatte ich ein leichtes Hicksen nach einer dieser verfluchten Zigaretten, von denen ich nicht die Finger lassen kann und nach fast einer Packung Erdnüsse auch. Ansonsten ist alles dufte.


Wenn alles glatt läuft, gehe ich am Samstag tanzen.



Freitag 24.07.2020


Bin früh mit Janina aufgestanden. Es geht mir weiterhin gut. Ich mache alles brav, was auf meinem Medikamentenplan steht.

Viele, viele bunte Smarties…! Nein, so bunt wie Smarties ist der Tablettencocktail nicht, aber für mich als Tablettenhasser sind es schon echt viele.


Vor ca. 10 Jahren hatte ich mal einen Schlaganfall – war wohl die Quittung für meinen teilweise heftigen Lebensstil – seitdem muss ich täglich morgens Blutverdünner (ASS 100) und abends Cholesterinsenker einfahren. Dazu kommt jetzt jeden Morgen eine Stunde vor dem Frühstück ein Magenschoner, damit die Schleimhäute von den Nebenwirkungen der Chemotherapie nicht so angegriffen werden und vor dem Frühstück und Abendessen eine Magentablette, damit mir nicht schlecht wird.

Um meinen Körper auf die chemische Keule vorzubereiten, musste ich fünf Tage lang vor der ersten Chemotherapie noch jeden Morgen 1,5 Kortison Tabletten nehmen. Ab dem zweiten Intervall muss ich dann immer 5 Tage lang 2 Tabletten ab Beginn des Zykluses nehmen.


Jetzt habe ich erstmal für drei Wochen Pause, von den Smarties. Von zweimaligen Blutproben und einem Besuch beim Onkologen nach der zweiten Blutprobe mal abgesehen habe ich erstmal meine Ruhe und kann mich somit meinem hoffentlich weiterhin nebenswirkungsarmen Leben widmen.


Den Rest des Tages konnte ich so angenehm verbringen, dass ich angefangen habe, mal wieder was zu erledigen. Unsere Glyzinie, die unsere Terrasse als Sonnendach überspannt, hat regelmäßig einen Friseurtermin bei mir nötig und heute fühlte ich mich auch fit genug, Leitern zu besteigen. Ich kann ja nicht alles liegen lassen oder meiner Frau überlassen.

Ich habe mich bei einer meiner Ex-Firmen gemeldet, die immer froh sind, wenn ich mal aushelfe und meinen Dienst wieder angeboten. Am Montag will ich versuchen, zu arbeiten.


Am späten Nachmittag waren wir noch mit den Fahrrädern unterwegs.

Natur pur am Kühkopf (Altrheinarminsel). Leider so pur, dass wir nicht mal einen Kaffee bekommen konnten. Öffnungszeiten sind nur am Wochenende.



Samstag 25.07.2020


Mitten in der Nacht (04.40 Uhr) bin ich aufgewacht, weil ich einen total schrägen Traum hatte, in dem ein Virus einen großen Teil der Menschheit dahingerafft hatte.

In meinem Inneren scheine ich zu spüren, wie die Chemotherapie angefangen hat, ihren Dienst zu verrichten.

Es sind keine Schmerzen, aber unangenehm ist es auf jeden Fall. Ich denke mir, dass die blöden Tumore jetzt von der chemischen Keule richtig was auf die Fresse bekommen und kann mich positiv denkend sogar darüber freuen und versuche die Medikamente dabei mental zu unterstützen, was die Sache schon weniger unangenehm erscheinen lässt. Ich kann sogar wieder einschlafen.


Abends waren wir tanzen. Wegen Korona geht ja seit Monaten nichts mehr, aber im kleinen privaten Kreis ist das schon möglich.

Ich habe es in vollen Zügen genossen, weil dort bis auf zwei verschwiegene, Alex und Maria, niemand weiß, dass ich krank bin. Es ist nur aufgefallen, dass ich alkoholfreies Bier getrunken habe, aber das habe ich abgetan.

Meine neue Frisur hat aber viel Beachtung bekommen. Ich habe allen gesagt, dass ich nach den langen Haaren eine Glatze haben will und auf dem Weg eine Zwischenstation mit einem Kurzhaarschnitt einlege.


 

Sonntag, 26.07.2020


Ein nicht so toller Tag, privater Stress, den ich hier nicht kommentieren werde.


Körperlich bin ich total platt, habe viel auf der Couch gelegen und geschlafen. Abends war ich trotzdem müde und bin ins Bett. Innerlich habe ich es abgetan, dass mir ganz schön warm war. Meine Frau hat mir ein Fieberthermometer gebracht, 38,5°.

Toll. Ab einer Temperatur von 38° soll ich mich zu jeder Tageszeit in der Praxis und wenn sie geschlossen hat, beim Onkologen melden. Also habe ich, wie geraten, zwei Paracetamol eingenommen und anschließend das Bett gründlich durchschwitzt.

Nach der halben Nacht war es an der Zeit, Decke und Kissen zu drehen und auf eine trockene Stelle zu rücken.



Montag, 27.07.2020


Morgens um 6.30 Uhr sind es nur noch 36,3°.

 

8.00 Uhr Akutthermin beim Onkologen wegen dem Fieber am Vorabend. Die Blutwerte sind ok und zeigen keine Infektionswerte. Außerdem wollen sie noch eine Harnprobe haben. Wenn ich wieder fiebrig werde, soll ich Paracetamol und Antibiotika nehmen, das er mir verschrieben hat.

Ich fühle mich, trotz des Fiebers in der Nacht, gut und bin deshalb tatsächlich arbeiten gewesen. Ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden.

Nach Feierabend war ich aber körperlich ziemlich platt und habe erst mal ein Schläferstündchen gebraucht.


Ersehnter Besuch kündigt sich für Donnerstag an, ich freue mich, eine gute Freundin in die Arme zu nehmen (scheiß doch auf Korona)!


Abends habe ich wieder die 38° Marke überschritten. Mist. Positiv denkend bin ich davon ausgegangen, dass es ein einmaliger Fieberschub war und habe mir das Antibiotika natürlich nicht besorgt. Also das gleiche Spiel, wie am Abend zuvor.



Dienstag, 28.07.2020


Es läuft gut, ich war wieder arbeiten.

Es schlaucht zwar und ich habe mich untypisch bei Maschinenlaufzeit hin und wieder gesetzt, aber bis auf ab und zu vorkommende Schmerzen im Bauchbereich geht es mir doch gut.


Die Schmerzen sind aushaltbar und nach ca. 10-15 Minuten habe ich dann auch wieder meine Ruhe.


Ich denke mir, selbst keine Schmerzen zu haben, sondern die der Tumore zu spüren, die von der Chemotherapie gerade ordentlich was auf die Mütze bekommen und stelle mir vor, wie ich in den Zuschauern bei einem Boxkampf der chemischen Keule zusehe, wie sie die Tumore umhaut und feuere sie innerlich lautstark an.


CHEMO, CHEMO, CHEMO, ...!!!


Leider haben die Tumore echte Nehmerqualitäten, sodass mir klar ist, dass das ein Kampf über viele Runden wird.


Nach Feierabend habe ich mir erst mal die verschriebenen Antibiotika geholt, falls das Fieber wiederkommt.


Pünktlich abends um die gleiche Zeit bin ich wieder bei 38,5°, also rein mit der Medikamentenempfehlung.