4. Zyklus / 1. Woche
Mittwoch, 23.09.2020
Heute früh ist es wieder so weit. Es beginnt der 4te Zyklus und komischerweise macht mir die Aussicht auf stärkere Nebenwirkungen nichts aus.
Heute geht es echt zügig und nach 3 Stunden bin ich schon wieder draußen, obwohl ich etwas verspätet war.
Weil ich noch Zeit habe, bis mein Zug fährt, setzte ich mich gegenüber in den Park und horche in mich hinein, wie es mir geht.
Es kommt mir so vor oder vielleicht ist es auch tatsächlich so, dass mir immer am ersten Tag von einem Zyklus schwindeliger wird, als am zweiten. Wie schon beim ersten Mal beschrieben, habe ich das Gefühl ein Karussell im Kopf zu haben. Zum Glück dreht es sich nicht so schnell und ich gewöhne mich daran, aber es bewegt sich stetig, was für mein Befinden in der Magengegend nicht so klasse ist. Es bleibt aber ertragbar und ich schlendere zum Ostbahnhof. Nachdem ich zu Hause angekommen bin, fühle ich mich so platt, dass ich mich nach dem Essen erst mal schlafen legen muss. Danach ist es mit dem Karussell auch nicht mehr so schlimm.
Der Tag ist trotzdem gelaufen und ich mache bis zum späten Nachmittag nichts außer chillen und essen.
Immerhin fühle ich mich soweit wieder fit, mein Auto in die Werkstatt zu fahren. Morgen haben wir einen seit August fälligen Termin zur Hauptuntersuchung und wir müssten ihn sonst verschieben. Felicia kann das zwar auch machen, aber sie muss ja auch wieder zurück kommen, also fahre ich und sie sammelt mich ein.
Hoffentlich wird es nicht so teuer.
Kurz vor der Dämmerung raffe ich mich aber doch noch auf und mache alleine einen Spaziergang um den Modau-Stausee. Janina fällt da ja leider noch aus. Holly wünscht mir viel Glück und Durchhaltevermögen. Ich schicke ihr ein Bild von meinem Abendspaziergang bei Sonnenuntergang.
Donnerstag, 24.09.2020
4ter Zyklus, zweiter Tag.
Nach der Chemo geht es mir besser als gestern und ich habe erstmal das Gefühl, keine Nebenwirkungen zu spüren. Ich freue mich, 2/3 der chemischen Keule jetzt im Einsatz gegen den Krebs in mir zu haben und sehne mich fast danach, zu spüren, wie es den Tumoren an den Kragen geht.
Später am Nachmittag geht mein Wunsch in Erfüllung und nachdem ich mich total überfressen habe, geht es mir noch beschissener. Selbst schuld, ich hätte mich ja auch etwas beherrschen oder wenigstens leichter verdauliches zu mir nehmen können.
Wir bekommen einen Anruf von der Werkstatt, die Sommerreifen auf der Hinterachse sind fällig. Das war mir vorher auch schon klar, aber ich wollte sie eigentlich erst im nächsten Frühjahr erneuern lassen. Die paar Wochen bis zum Reifenwechsel hätten sie es meiner Meinung nach auch noch getan. Jetzt ist es eben so und zusammen mit ein paar anderen Kleinigkeiten kostet uns der Spaß knapp 400 €. Wir können das Auto auch nach Feierabend abholen. Der Schlüssel und die Rechnung werden in einem kleinen Safe gebunkert, für den wir den Code bekommen haben. Zu Hause sehe ich mir alles an und will auch die neue Plakette bewundern. Mist, die haben sie vergessen. Im Schein ist es aber eingetragen.
Freitag, 25.09.2020
„Guten Morgen Du Lügnerin“, sage ich zu unserer Waage, die wie immer lügt.
Sie behauptet, dass ich seit Montag 3,5 kg zugenommen habe und ich kann es mir gar nicht erklären, erst als ich in den Spiegel sehe, wird mir klar, dass sie doch recht haben kann. Bis Sonntag muss ich noch die Kortison Tabletten nehmen und ich beschließe, mich nicht mehr so gehen zu lassen.
Janina fahre ich heute Mittag zu ihrer ersten Physiotherapie und anschließend zum Zahnarzt. Sie tut mir echt leid, weil sie kaum aus dem Haus kommt. Mit mir oder Felicia einkaufen zu gehen, ist sozusagen ihr Highlight des Tages. Ihr fehlt ihr Training im Fitnessstudio.
Die neue TÜV Plakette können wir nächste Woche bekommen, dann habe ich wenigstens was zu tun.
Da ich mich ja kaum bewege, verbrauche ich auch nicht viel und ich kann mir das Essen auch direkt auf die Hüfte nageln. Hoffentlich nehme ich nach den Kortison Tabletten wieder ab. Am besten mehr als das, was ich in den vergangenen 4 Tagen zugelegt habe.
Momentan bin ich schon zufrieden, wenn es nicht noch mehr wird, sonst kratze ich bald an der 90kg Marke, die ich vor 1 ½ Jahren mal überschritten habe, als ich mich mit gebrochenem Fuß 8 Wochen lang nur zwischen Bett, Couch und PC bewegt habe.
So weit will ich es nicht kommen lassen und nehme mir vor, mich mehr zu bewegen.
Schwimmen fällt leider aus, der Sommer ist vorbei und ich habe als Risikopatient keine Lust, mir was auch immer im Hallenbad einzufangen.
Auch wenn es kein Corona ist, kann ich es mit Sicherheut gebrauchen, wie ein Loch im Kopf.
Joggen habe ich noch nie gemocht und mit meiner Raucherlunge komme ich wohl keinen Kilometer weit. Bei dem Wetter habe ich auch keine Lust, mich aufs Rad zu schwingen, weil ich Bedenken habe, dass ich mich, weil ich recht fit auf dem Rad war, übernehme und den Rückweg unterschätze.
Herr Dingeldein hat mir empfohlen, auch wenn es mir nicht so gut geht, wenigstens spazieren zu gehen.
Kurt meldet sich, er ist mit Belinda im Urlaub. Sie haben sich direkt neben der Hochgrat-Klinik im Feriendorf einquartiert. Ich kann das nicht verstehen, weil ich, als Janina mich dort besuchen war, eine Unterkunft für sie gesucht habe und dieses Ferienhaus für uns nicht in Frage kam. Es war mir schon von außen zu ungepflegt und dementsprechend zu teuer. Die beiden sind da hart im Nehmen, sie haben auch schon im benachbarten Bauernhof übernachtet, der für uns erst recht nicht in Frage kam.
Früh am Abend schaffe ich es, mich wieder auf den Weg um den Stausee zu machen. Ich sollte wohl eine Art Kulthandlung daraus machen, wenn ich nicht platzen will.
Samstag, 26.09.2020
Nachdem ich brav alle Tabletten genommen und gefrühstückt habe, geht es mir einigermaßen gut. Die ab und an auftauchenden Schmerzen im Bauchraum und das Unwohlsein sind erträglich. Mein Geschmackssinn ist aber wieder auf Reisen. Trotzdem läuft irgendwie der Tag an mir vorüber und ich bekomme nichts auf die Reihe. Ich sollte dringend meinen Papierkram erledigen.
Die Motivation ist aber, wie der Geschmackssinn, im Keller und ich verschiebe das Meiste auf Montag, weil ich auch ein paar Telefonate führen muss und heute ist ohnehin niemand zu erreichen.
Letztendlich habe ich nur grob das Chaos auf unserem Schreibtisch gelichtet, indem ich erst mal Häufchen sortiert und dabei viel gelesen habe.
Von Briefen, die ich vor Jahren meinen Kindern, zu denen ich leider keinen Kontakt mehr habe, geschrieben habe, liegen noch Ausdrucke herum.
Zeitreise – nicht schön, aber ich habe gelernt damit umzugehen, ohne in Depressionen zu landen und wieder in das Hier und Jetzt zurückzukehren.
Abends bin ich vom vielen Nichtstun, außer nachdenken, total fertig und schlafe nach den Nachrichten auf der Couch ein.
Sonntag, 27.09.2020
Der Tag zieht sich dahin, wie Honig an einem Löffel. Er auch ist so Ereignislos, weil ich recht beschwerdefrei bin.
Immerhin schaffe ich es nach dem Frühstück, um den See zu laufen und dabei einen treibenden Fußball aus den Fluten zu retten. Jeden Tag eine gute Tat. Hoffentlich findet das Kind, dem der Ball in die Modau geflogen ist, das gute Stück wieder. Weiß der Geier, wo der Ball seine Reise angetreten hat.
Mittags kommen Vincent und Loretta zu Besuch und haben ein neues Spiel dabei, Pandemie heißt es. Wie passend, da hat wohl ein Spieleerfinder schnell auf Corona reagiert. Ich fühle mich fehl am Platz und habe keine Lust auf Familiennachmittag. Die Kommunikation mit Vincent und Felicia wäre mir zu oberflächlich und wenn ich nicht beginne, reden wir sowieso nicht miteinander, also was solls.
Ich ziehe mich zurück.
Montag, 28.09.2020
Nachdem ich wieder früh eingeschlafen bin, bin ich heute auch schon früh wach und setze mich um 8 Uhr an den Schreibtisch, nachdem ich schon meditiert, gefrühstückt, den Müll raus gebracht und die Küche aufgeräumt habe.
Wenn ich schon ausgeschlafen und beschwerdefrei bin, muss ich das ausnutzen. Nach mehreren Stunden und 2 vollen Papierkörben habe ich es geschafft, die vorsortierten Häufchen auf drei kleine Ablagestapel zu reduzieren.
Janina bringt mich davon ab, den Rest auch noch abzulegen. Sie will in den Toom-Baumarkt. Dort können wir uns einen Holzofen ansehen, den sie vorausgewählt hat.
Ich bin froh, das Teil wenigstens mal zu sehen. Es ist schon auffallend billig. Wir waren schon in einer Ausstellung, wo es keinen Ofen unter 1500 € gab, der aktuelle soll deutlich unter 500 € kosten. Schon der Türgriff ist Schrott und der Rest aus dünnem Blech. Wir sehen uns mit einem Verkäufer andere Holzöfen an und reservieren uns einen, der mal über 800 € gekostet hat.
Morgen bekommen wir Besuch von einer Firma, die uns ein Angebot für ein Edelstahlrohr machen will, das in den stillgelegten Kamin eingebaut werden muss. Für ihn haben wir jetzt technische Daten für einen Ofen, wie wir ihn haben wollen.
Abends geht es mir immer noch gut und ich fahre in das Steinbruch-Theater. Es ist seit ein paar Tagen wieder geöffnet, nicht nur der Biergarten und ich will meine Neugier befriedigen.
Eigentlich ist alles wie immer, nur leider ist nicht viel los und die wenigen Gäste sitzen an irgendwelchen Tischen oder sind draußen im Biergarten am Feuer. Die mit Tischen und Stühlen zugestellte Tanzfläche wirkt total befremdlich auf mich, obwohl mir vorher schon Bilder geschickt wurden. Nach einem kleinen Rundgang, natürlich mit Mund- Nasenschutz, werde ich aufgefordert, an einem Tisch Platz zu nehmen.
Am einzigen Tisch, an dem ich bekannte Gesichter sehe, dürfen maximal 8 Personen sitzen, ist kein Platz mehr und ich muss mich an den Tisch daneben setzen. Damit ich nicht vereinsame, setzt sich Kim zu mir und verstößt damit bestimmt gegen die Auflagen. Als sich Paula verabschiedet, ist wieder genug Platz und wir siedeln um.
Wie das mit dem Steinbruch-Theater weitergehen soll, steht wohl in den Sternen. Zumindest ist es nicht verwunderlich, dass so wenige Leute da sind, weil man nicht tanzen kann.
Dienstag, 29.09.2020
Morgens geht es mir verhältnismäßig gut und ich fahre recht entspannt zum Labortermin um 13 Uhr. Als ich endlich die neue Krankmeldung habe, die letzte läuft morgen ab, mache ich mich auf den Weg in die Autowerkstatt, um die neue TÜV-Plakette zu bekommen. Auf dem Rückweg mache ich noch einen Zwischenstopp bei der Bank, um mein Sparbuch zu plündern. Mein Girokonto freut sich. Was einem so alles auffällt, wenn man seinen Schreibtisch aufräumt…
Wieder zu Hause fängt es an. Obwohl ich nicht so viel gemacht habe, eigentlich bin ich ja nur Auto gefahren, bin ich total fertig und es geht mir im Laufe des Nachmittags immer schlechter. Ich habe einen Geschmack im Mund, wie ein toter Fisch. Zähneputzen bringt leider nichts.
Mein Papierkram bleibt wieder liegen, genau wie ich auf der Couch.