7. Antikörpertherapie / 1. Woche

 

Mittwoch, 25.11.2020


Der Tag startet erst mal mit Ex-Raucher-Husten, aber zum Glück nachlassend, dann geht´s in die Onkologie, erstmals ohne vorherigen Tablettencocktail.


Als ich noch davon ausgegangen bin, dass die Antikörperinfusion ein zweimaliges Erlebnis sein würde, habe ich angenommen, dass das spätestens nach einer Stunde erledigt sein würde, aber leider ist es so, wie es im 3-wöchigen Rhythmus immer mittwochs war. Ich hänge über 3 Stunden am Tropf.

Bevor ich gehe, habe ich das Glück, Herrn Dingeldein spontan kurz sprechen zu können, ohne noch einmal im Wartezimmer Platz nehmen zu müssen. Vorher habe ich von den netten, was sind sie eigentlich, ich nenne sie mal Sprechstundenhilfen, einen neuen Terminzettel bekommen, der Fragen aufwirft. Außerdem will ich wissen, wann der CT-Termin sein soll.

Gegen den im 3 Wochen Rhythmus liegenden Termin für die letzten Antikörper am 16.12.2020 habe ich ja nichts einzuwenden und auch nicht gegen einen darauf folgenden Labor- und Arzttermin am 04. Januar, aber es steht schon wieder ein fragwürdiger Therapietermin am 06.01.2021 auf dem Plan, aus dem ich mir keinen Reim machen kann.


Herr Dingeldein streicht ihn zum Glück gleich. Ich hatte schon Bedenken, etwas würde nicht stimmen. Die dann hoffentlich abschließenden Termine verschiebt er auf Mitte Januar, ca. 4 Wochen nach den letzten Antikörpern. Den Termin muss ich mir noch an der Anmeldung eintragen lassen, habe dazu aber keine Lust.

Ich will nach Hause und muss vorher noch in die Radiologie. Der CT-Termin ist mir viel wichtiger. Ich soll nach der letzten Infusion in drei Wochen unter die Röhre. Hoffentlich klappt das noch vor Weihnachten, damit ich mir die frohe Botschaft unter den Baum legen kann.


Ich habe Glück und bekomme einen CT-Termin für den 21.12.2020. Ich freue mich schon jetzt auf das leckere (würg) Kontrastmittel, das ich dann wieder trinken darf.


Wieder zu Hause ist es auch so wie alle drei Wochen mittwochs. Spürbare Nebenwirkungen Fehlanzeige, außer ein langsames Karussell im Kopf, Hunger und Müdigkeit.

Also verbringe ich den Tag auch wie alle drei Wochen mit essen und schlafen.


 

Donnerstag, 26.11.2020


Mit gemischten Gefühlen werde ich wach. Ein leicht schwammiges Nachklingen im Kopf habe ich schon. Nachdem ich versucht habe zu schreiben, schweife ich mit meinen Gedanken ab. Wenn ich es nicht schon hinter mir hätte, würde ich jetzt in der Onkologie am Tropf liegen...


Ich ertappe mich dabei, dass ich in Gedanken versunken nach draußen gehe und in meiner Jackentasche anfange, nach einem Feuerzeug zu suchen.

Wie gut, dass ich keine Zigaretten habe, ich weiß nämlich genau, wo ein Feuerzeug liegt. Vielleicht wäre ich genau in diesem Augenblick rückfällig geworden, wenn alles griffbereit gewesen wäre.


Ich ärgere mich über mich selbst. Der Griff zur Kippe ist so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich mich schon früher dabei ertappt hatte, mir vollautomatisiert Zigaretten anzustecken, um dann erst zu merken, dass noch eine glühende im Aschenbecher liegt.


Die blöde Zigarettensucht hat sich eigentlich ähnlich wie die Krebszellen bei mir eingeschlichen. Ungefragt. Die Sucht hat es aber mit meinem Wissen getan. Das bringt mich wieder mit den Gedanken auf Krebszellen.

Ob wirklich alle tot sind?


Chemo tänzelt tiefenentspannt in seiner Ringecke und hält sich warm. Tumore liegen regungslos unter den Seilen und wirken irgendwie zerlegt. Meine höhere Macht zählt die tot aussehenden Tumore an, aber ich kann die Zahlen nicht hören. Vielleicht wird bei einem solchen Kampf auch bis hundert gezählt...


Ein Grummeln geht durch die Zuschauermenge, alle scheinen sich zu fragen, ob die Tumore tot sind und aus dem Ring ausgeschieden werden können.


Das Engelchen erscheint auf meiner Schulter und flüstert mir überhaupt nicht Engelchen-Like ins Ohr: „Glaub mir oder glaube Dir; nein, glaube uns, was Du eh schon weißt. Die Tumore sind tot“


An seinen Engel sollte man schon glauben oder war es mein Teufelchen in Engelsgestalt, das mich in Sicherheit wiegen will?


Obwohl ich nach wie vor nicht geraucht habe, kann ich es heute irgendwie nicht vermeiden, daran zu denken. Es war wohl doch auch das Teufelchen da.

Ich gehe aber davon aus, dass es mein Engelchen nur bei der Wortwahl beeinflussen konnte.


 

Freitag, 27.11.2020


Die dauernd zu Zigaretten abdriftenden Gedanken habe ich heute zum Glück nicht.


Ich brauche fachmännischen Rat von Alex bei der Bildbearbeitung und will davor noch bei einem anderen Kumpel reinschauen, weil er, auch mit ramponiertem Knie, Hilfe gebrauchen kann. Bis ich von der Tour wieder zu Hause bin, ist es später Nachmittag.


Ich bin ein bisschen stolz, weil ich es problemlos geschafft habe, einen Raucher zu besuchen, ohne das Verlangen zu bekommen, selbst zu rauchen, obwohl ich mehrmals mit ihm auf dem Balkon war. Gestern wäre das vielleicht in die Hose gegangen.


Auf dem Rückweg war ich mit Janina´s Auto noch kurz in der Werkstatt. Vor einer Woche haben wir die Winterreifen montieren lassen und seit wir auf dem Rückweg waren, haben wir eine Fehlermeldung.

Na toll, man hat uns die falschen Winterreifen ausgehändigt. Die richtigen haben laut Werkstatt ein anderes Ventil, das eine Meldung an den Bordcomputer sendet. Jetzt können wir uns noch mit der Verkäuferin rumärgern, von der wir das Auto vor einem halben Jahr gekauft haben.


Nach der Werkstatt will ich Janina schnell in der Stadt einsammeln, aber das kann ich am Black Friday vergessen. Nachdem ich über 10 Minuten auf einem Behindertenparkplatz gewartet habe und mir die Verkäuferin vom wohl dazugehörigen Sanitätshaus schon böse Blicke zukommen lässt, fahre ich doch ins Parkhaus und treffe mich mit Janina. Sie will mir noch was zeigen und wir laufen durch das Luisencenter.


Von wegen Mindestabstand. In den Läden ist alles in Ordnung, aber weil nur eine begrenzte Anzahl an Kunden hinein darf, steht der Rest davor dicht an dicht Schlange.

Manche versuchen schon Abstand zu halten, aber es bringt natürlich nichts, wenn der Rest sich nicht daran hält.


Ich frage mich, was diesen Leuten in der Schlange wohl im Kopf rumgeht? Schnäppchenjagdfieber oder innerliches „Geiz ist geil“ wixen??? Wahrscheinlich aber bei vielen einfach nur nichts.


Wo es eng wird, meistens vor Sportläden, halte ich kurz die Luft an und bin, nachdem wir das Luisencenter an einigen Schlangen entlang durchlaufen haben, kurz vor Schnappatmungen.


An unserem Ziel ist zum Glück nicht so viel los und es ist gut belüftet, weil es am Seiteneingang liegt. Wenn ich vorher gewusst hätte, wo Janina hin will, wäre ich (dr)außen entlang und nicht mittendurch gelaufen.


 

Samstag, 28.11.2020


Das Goldkehlchen hat mir eine wunderschöne Sprachnachricht geschickt. Geschrieben wäre es auch nie so schön geworden, als ihre warmherzige Goldkehlchenstimme zu hören.


Nach der Zeitung und einem späten Frühstück gehen wir einkaufen. Zum Glück gibt es in dem Markt, den wir aufsuchen, keinen Black Saturday.


Janina und Felicia geben sich später das Drama noch einmal und fahren in die Stadt. Ich bin nicht begeistert und äußere meine Bedenken. Sie wollen nur in ganz bestimmte Läden, na toll. Und wenn davor der Teufel los ist, gehen sie dann nicht hin? Hoffentlich schleppen sie mir nichts an.

Man mag mich für einen Spießer halten und ich sehe so etwas normal auch lockerer, aber wegen meiner noch nicht komplett ausgeheilten Krankheit habe ich einfach Schiss.


Was ich hinter mir habe, war nun wirklich kein Pappenstiel und ich weiß ja nicht einmal, ob alle Tumore weg sind und ich habe keine Lust, nahtlos in die nächste Krankheit überzugehen.

Wie fit mein Immunsystem ist, kann ich auch nicht wissen und wenn mich eine Erkältung schon für zwei Wochen außer Gefecht setzt, will ich nicht wissen, wie Corona für mich laufen würde.


Besser ich probiere es erst gar nicht aus.


Ich bleibe zu Hause, genug zu tun habe ich auf jeden Fall. Bestimmt schon 2 Wochen lang habe ich es nicht geschafft, mein Tagebuch wieder auf einen aktuellen Stand zu bringen. Immerhin hat die Lücke nie die Länge von einer Woche überschritten.


 

Sonntag, 29.11.2020


Der morgendliche Raucherhusten hat nachgelassen und langsam habe ich das Gefühl, von den Nebenwirkungen in Ruhe gelassen zu werden, auch wenn ich mich wirklich nicht fit fühle. Es ist an der Zeit, sich wieder mehr zu bewegen, sobald mein Tagebuch aktuell ist.


Weil ich durch das Nichtrauchen und das somit aufgeschobene Intervallfasten immer noch nicht abgenommen habe, bin ich heute fleißig, schreibe über 2 Seiten und lese, bis ich mich von Janina für einen ausgiebigen Spaziergang überzeugen lasse.


Das ist ja immerhin etwas Bewegung und wir sind über eine Stunde unterwegs, sie übrigens das erste Mal ohne die Walkingstöcke, nur noch mit ihrer beweglichen Schiene, die sie aber auch bald los ist. Und sie läuft auch ohne die Stöcke gut und zügig.


 

Montag, 30.11.2020


Heute rollt die Kugel beim Schreiben endlich mal wieder ordentlich und ich komme gut voran. Es ist aber auch Zeit geworden. Als ich heute angefangen habe, waren es schon wieder 6 Tage, die ich nachholen muss. Morgen schaffe ich es bestimmt, auf einen aktuellen Stand zu kommen.


Gedanklich bin ich beim Schreiben wieder auf Reisen durch meine innere Welt, schaue ein paar Mal in der Boxarena vorbei, um zu sehen, ob die Tumore irgendwelche Zuckungen machen, schweife in meiner Vergangenheit herum und wandere mir gedanklich wieder Blasen an der Gersprenz entlang auf dem Weg von der Quelle zur Mündung.


 

Dienstag, 01.12.2020


Pünktlich zum meteorologischen Winteranfang schneit es ordentlich als ich wach werde und ich muss, nachdem ich uns einen Kaffee gemacht habe, erst Mal den Bürgersteig vom Schnee befreien, bevor die täglichen Schulkinderhorden kommen und auf ihrem Weg von der Bushaltestelle zur Schule alles festtreten.


Ich mach mich wieder an die Arbeit und schreibe, bis ich tatsächlich mal wieder alles aufgeholt habe. Wann ich das zum letzten Mal geschafft habe, erfahre ich bestimmt, wenn ich nach dem Duschen wieder Text ins Netz stelle und dabei korrekturlese.


Körperlich geht es mir besser. Nicht mehr zu rauchen bringt erste Erfolge, mein Husten ist weg, nur früh am Morgen werde ich noch daran erinnert. Spürbare Nebenwirkungen haben sich fast komplett verabschiedet.


Ich will mich auf den Weg zurück in die Normalität machen. Schritt für Schritt.


Der Weg ist das Ziel?