Rehabilitation
Am Dienstag, den 30.03.2021 war es endlich soweit und ich habe mich früh um 6 Uhr bei strahlendem Sonnenschein mit dem Auto auf den 340 km langen Weg nach Clausthal-Zellerfeld gemacht, um wie gebeten um 10 Uhr da zu sein.
Aus Umweltschutzgründen wäre ich gerne mit der Bahn gefahren, aber dann wäre es schwierig geworden, mein Fahrrad mitzunehmen und das wollte ich unbedingt dabeihaben.
Der Brocken war mein großes Ziel. Ich hatte es schon gegoogelt. Von der Reha-Klinik waren es etwas mehr als 30 km bei 765 Höhenmetern einfache Strecke, für meine Verhältnisse also schon eine Herausforderung, weil ja auch noch der Rückweg zu berücksichtigen war. Ich hatte aber fast 3 Wochen Zeit zu trainieren und wollte die Tour am letzten Sonntag meistern.
Ich war tatsächlich pünktlich um 10 Uhr da.
Erst Mal zur Anmeldung, vorbei an dem Schild am Eingang „Zutritt für Besucher verboten“, dann bekam ich gleich eine rote Karte.
Zum Glück war das aber kein Platzverweis, sondern nur ein Hinweis für das Personal, dass ich noch keinen negativen Corona Test hatte. Mit der Karte in der Hand musste ich dann im Eingangsbereich, brav mit Maske, auf eben diesen warten, danach bekam ich eine gelbe Karte als Hinweis für alle „getestet, aber noch kein Ergebnis“. Nachdem das vorlag, bekam ich eine grüne Karte, mit der ich wieder zur Anmeldung musste.
Dann durfte ich in mein Zimmer einziehen und es folgte das übliche wie bei jeder Reise. Alles inspizieren, ein paar Bilder machen, „bin gut angekommen“ schreiben und die ersten Bilder schicken, Koffer auspacken… Dann noch schnell einen Schlüssel für den Fahrradschuppen organisieren, Fahrrad ausladen, Vorderrad wieder einbauen und im Schuppen parken.
Wieder auf dem Zimmer klingelte gleich das Telefon. „Bitte kommen Sie in das Schwesternzimmer.“ Blutdruck und Puls wurde gemessen, tausend Fragen gestellt, die Hausordnung erklärt und ausgehändigt. Völlig überraschend war das Rauchen im Gebäude verboten und die nach dem negativen Corona-Test ausgehändigten Masken, für jeden Tag eine, waren im gesamten Gebäude zu tragen. Einen Therapieplanordner für den Reha-Ablauf und ein täglich auszufüllender Corona-Fragebogen wurde mir gegeben.
Für die täglich neuen Therapiepläne bekam jeder einen eigenen Briefkasten, die meistens nach dem Mittagessen für den nächsten Tag darin lagen.
Alles dufte und ab zum Mittagessen. Davor Einweisung von Ernährungsberatern, damit man kapierte, wie das mit dem Essen funktionierte und was es zur Auswahl gibt.
Gegessen wurde im 3-Schicht Betrieb, damit nicht zu viele Personen in der Kantine waren. Immer nur 2 Patienten an einem Tisch, getrennt durch eine Plexiglasscheibe. Essenszeiten waren getaktet. Frühstück 30, Mittagessen 40 und Abendessen 35 Minuten. Beim Essen durften die Masken zum Glück abgesetzt werden ;o), aber bitte nicht auf den Tisch legen, weil diese erst nach den drei Schichten wieder desinfiziert wurden.
Das Essen fand nicht nur ich wirklich gut, aber es gab unter den ca. 200 Patienten, ungefähr zu gleichen Teilen onkologische und psychosomatische, auch einige Nörgler, die dauernd etwas auszusetzen hatten.
Reha unter Corona Bedingungen ist schon ein Gesamtkunstwerk.
Die Sauna war leider geschlossen, das Schwimmbad durfte nur zu therapeutischen Zwecken mit maximal 6 Personen genutzt werden. Abends in der Freizeit durften, wenn keine Anwendungen stattfanden, maximal 4 Personen gleichzeitig in das Fitnessstudio, aber nur wenn sie eine therapeutische Einweisung bekommen hatten und 12 in die Turnhalle, zeitlich begrenzt wie beim Essen in 3 Schichten.
Man musste sich mit seiner Zimmernummer in eine Liste am schwarzen Brett eintragen. Wer zuerst kam, malte zuerst. Dementsprechend war es ein Run auf die Listen, wenn neue aufgehängt wurden. Das geschah immer dann, wenn die alten abgehängt wurden, damit in der Turnhalle und im Fitnessstudio abgeglichen werden konnte, dass auch die Personen da waren, die sich eingetragen hatten.
Die Maskenpflicht im gesamten Gebäude wurde schnell zur Normalität, aber wirklich jeder hatte sie ab und an vergessen aufzusetzen. Bei einigen Anwendungen konnte sie, wenn es möglich war, Abstand zu halten, auch abgesetzt werden.
Nach dem ersten Mittagessen lag ein erstes Arztgespräch mit Untersuchung an. Ich hatte schon Bedenken, dass mir, weil ich mich schon recht fit fühlte, die Reha verkürzt werden könnte, aber die Ärztin sprach davon, dass sie eher verlängert werden könnte, was sich bis zur Visite in einer Woche herausstellen würde.
All meine Arztberichte lagen vor und natürlich auch die Angaben, die ich selbst gemacht hatte. Nach dem Gespräch, der allgemeinen körperlichen Untersuchung und meinen Angaben wurde festgelegt, welche Therapien für mich passend waren.
Weil ich einfach mental und körperlich fitter werden und die immer noch vorhandene Nebenwirkung Fatigue der Chemotherapie loswerden wollte, hatte ich allen sportlichen Maßnahmen zugesagt, sogar therapeutischem Tanzen, obwohl ich mir nichts darunter vorstellen konnte, aber wenn man gerne tanzt…
Weil für diesen Tag nichts mehr anlag, hatte ich das Klinikgebäude und Gelände erst mal erforscht. Den im Park liegenden Schwarzenbacher Teich konnte man leider nicht umrunden, ein Zaun war im Weg. Es gab zwar ein Tor, aber es war nicht absehbar, wie lange ich über Feld und durch einen Wald für den Rückweg brauchen würde. Ein paar Wassergräben und kleine Bäche wären auch noch zu überwinden gewesen.
Mit meinem Zimmer im 2ten Stock hatte ich das Gefühl, die Arschkarte gezogen zu haben, weil meine Aussicht wirklich bescheiden war. Aus dem Fenster sehend hatte ich nach rechts den nächsten Gebäudeflügel vor mir, unter mir die Cafeteria und ansonsten einen freien Blick auf einen gerodeten Hügel, auf dem Weit und breit kein Baum mehr stand.
Später hatte sich heraus gestellt, dass mein Zimmer auch Vorteile hatte. Viele, die einen schönen Blick auf den Teich und Wälder hatten, beklagten sich, oft mal wieder kein Netz zu haben. Das Problem hatte ich nie und weil ich tagsüber selten auf meinem Zimmer war, hatte mich die nicht so schöne Aussicht nicht mehr weiter gestört.
Beim Abendessen sind mir erste Gesichter bekannt vorgekommen, weil sie beim Mittagessen auch als neue Patienten bei der Einweisung entpuppt hatten. Ein paar Leute aus dem Raucherbereich, ein Unterstand, der aussah wie eine Bushaltestelle, kamen mir auch bekannt vor.
Nach dem Frühstück um 7.00 Uhr, was für eine ungewohnte Zeit für mich, gab es dann später einen Vortrag vom Chef der Physio- und Sporttherapeuten als Einweisung für die Neuen.
Nach dem Mittagessen hatte ich einen weiteren Termin bei einem Arzt, wegen medizinisch-beruflich orientierter Rehabilitation (MBOR). Nach einer Minute, in der er mir eine kurze Zusammenfassung meiner eigenen Angaben verkündet hatte, war aber klar, dass er nur einen Flyer loswerden wollte und eine weitere Minute später war ich schon wieder draußen.
Vor der Tür waren mir schon zwei „Neuankömmlinge“ aufgefallen, die Zeitgleich mit mir diesen MBOR-Termin hatten. Gabrietta ;-p war auffällig, weil schon von weitem ihr Arschgeweih gut zu sehen war aber auch Lisa ließ einige Tattoos blitzen. Nach weiteren fünf Minuten waren wir alle mit Flyern ausgestattet worden. Den Arzt fanden wir alle drei erstmal sonderbar.
Um 14.00 Uhr hatte mein Sportprogramm endlich begonnen. Wirbelsäulengymnastik stand an und es waren 30 Minuten auch richtig Sport. Danach hatte ich Freizeit bis zum Abendessen. Es war die erste Gelegenheit, die Gegend mit dem Fahrrad zu erkunden. Der Plan für den nächsten Tag ließ das nicht mehr zu. Das Wetter war bestens, angenehme 20° bei Sonnenschein.
Mit Gabrietta hatte ich mich vorher zufällig in der Cafeteria getroffen. Der Kaffee, den es zum Frühstück gab, schmeckte erbärmlich. Weil wegen bestem Wetter alle Tische auf der Terrasse besetzt waren und wir keine Lust hatten, drinnen zu sitzen, hatten wir uns neben der Terrasse niedergelassen und sind ins quatschen geraten.
Sie war auch eine onkologische Patientin, die wie alle eine Krankheitsgeschichte mit sich trug, trotzdem wirkte sie topfit. Sie war voll die Sportskanone, das sah man ihr auch an und hatte auch ein Fahrrad dabei.
Mit mir die Gegend erkunden, wollte sie aber nicht. Sie wollte ins Gelände. Das war mir für den Anfang zu sportlich und so sind wir jeder für sich gefahren.
Sie kam dann verschrammt wieder von ihrer Geländefahrt zurück, weil sie sich mit einer Brombeerhecke angelegt hatte.
Es war klar, sie war ein verrücktes Huhn, was sie mir noch sympathischer gemacht hatte.
Das Weltkulturerbe Oberharzer Wasserwirtschaft, ein vor über 800 Jahren angelegtes vorindustrielles Energiegewinnungs- und Versorgungssystem aus zahllosen miteinander durch Wassergräben verbundenen Teichen in Wiesen und Wäldern ist wunderschön, wenn man gerne in der Natur ist, wandert oder radelt.
Die erste Steigung hatte nicht lange auf sich warten lassen. Nachdem ich den Damm am Schwarzenbacher - und den am kurz darauf folgenden Pixhaier Teich überquert hatte, wurde es zum ersten Mal etwas steiler.
Leider hatte ich aber auch die Folgen von Dürresommern, Monokultur und Borkenkäfern gleich zwischen den beiden Teichen zu sehen bekommen. Fichtensterben und -rodungen großer Flächen, ja ganzer Hügel, um der Lage Herr zu werden, hatte ich schon bei meiner ersten Radtour zu sehen bekommen und leider auch jede Menge toter Bäume, an denen kein Grün und kaum Rinde mehr zu sehen war. Am Pixhaier Teich liegt ein schöner Campingplatz, leider mit der Aussicht auf einen solchen gerodeten Hang.
Immerhin werden mittlerweile Mischwälder gepflanzt, aber vor wenigen Jahren wurden noch stur Fichten aufgeforstet. Bei einer Wanderung nach Osterode hatte ich einen solchen Berghang gesehen. Besser sie verkaufen diese als Weihnachtsbäume, bevor sie zu groß geworden sind und pflanzen an dieser Stelle Mischwald.
Am Ende meiner Strecke, es war Zeit, den Rückweg anzutreten, war ich an einem Parkplatz an einer Landstraße angekommen. Bei einer kurzen Trinkpause ist mir eine Stele mit der Aufschrift „Todesmarsch“ und „April 1945 www.tm45.de“ am Straßenrand aufgefallen. Weil mir die Zeit fehlte, mich genauer zu informieren, hatte ich die Stele und eine dazu gehörende Informationstafel fotografiert.
Im Nachhinein konnte ich nachlesen, dass an den Stellen, an denen solche Stelen aufgestellt wurden, Menschen in den letzten Kriegstagen auf diesen Todesmärschen durch den Harz von der SS ermordet wurden.
Im Nachhinein ist das hoffentlich nicht nur für mich ein sehr bedrückendes Gefühl, auch wenn ich nichts für die Kriegsverbrechen dieser Generation kann. Unverständlich bleibt es für mich trotzdem.
Wieder zurück fand nach dem Abendessen in der Turnhalle das mit Spannung erwartete therapeutische Tanzen statt. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit polnischen, ungarischen, türkischen und griechischen Volkstänzen, wobei wir die nötige Distanz mit tuffig bunten Tüchern einhalten sollten.
Ich tanze wirklich gerne, bin offen für neues und höre musikalisch fast alles, aber das war rundum blöd, auch wenn man gefordert war, bestimmte Schrittfolgen einzuhalten. Es war musikalisch wirklich total an meinem Geschmack vorbei.
Irgendwelche Übungen hätten wir auch im Takt auf guten alten Rock machen können. Geschmäcker sind nun mal verschieden.
Ich fürchte, die externe Therapeutin fand ihre Musikauswahl toll.
Am Raucherpavillon hatte ich schon am zweiten Abend Jessi und Andre kennen gelernt, die auch mit mir oder einen Tag später angekommen waren.
Ansonsten traf sich hier ein schöner Querschnitt der deutschen Gesellschaft. Wie überall gab es stille und wortgewaltige, witzige, sentimentale, freundliche und weniger nette, Blödschwätzer, Lästermäuler und ein paar hatten auch kein Wigwam. Alles in allem aber ein lustiger Haufen.
Das Gute war eben, dass man hier immer jemanden traf, wenn man zwischen zwei Anwendungen nicht wusste, was man treiben sollte und wenn man mal kurz alleine war, kam kurz darauf der nächste Nikotinjunkie um die Ecke.
Am nächsten Tag war mein Terminplan voll und an eine Radtour war trotz des guten Wetters nicht zu denken. Atemtherapie, ich dachte das Atmen in über 50 Jahren ganz gut hinbekommen zu haben, war nicht schlecht und auf alle Fälle interessant, Ergometer, und Fatigue Gruppe am Vormittag. Nach dem Mittagessen lag der Therapieplan für das gesamte Osterwochenende bis einschließlich Dienstag im Briefkasten.
Einführung medizinische Trainingstherapie MTT (Muckibude), die mir das Nutzen des Fitnessstudios am Abend ermöglichte, Einführung in Tai-Chi Qi Gong, Informationen rund um die Reha, ein Vortrag des Verwaltungsdirektors und Heil werden an Körper und Seele bei einer Geistlichen standen nachmittags auf dem Programm. Trotzdem hatte ich zwischen den beiden Einführungen MTT und Tai-Chi Qi Gong fast zwei Stunden Freizeit.
Weil ich ohnehin die Sportsachen anhatte, wollte ich mir hochmotiviert wie zu Hause eine Fitnessstrecke im Wald suchen. Auf dem Weg dahin hatte ich einen weiteren offiziellen Raucherplatz entdeckt, den ich vorher nur auf einem Plan der Klinik gesehen hatte.
Ein schöner Platz im Grünen mit zwei Bänken ohne Dach. Bei bestem Wetter hatte dieser Platz einfach zum Verweilen eingeladen. Nach einer Zigarette, die mir angeboten wurde, wollte ich mich kurz auf die Bank legen, um die Sonne zu genießen und war eingeschlafen. In den beiden ersten Nächten hatte ich kaum geschlafen und war einfach übermüdet. Mit Schmerzen vom Liegen auf der harten Bank war ich nach über einer Stunde wieder wach geworden. Wie peinlich. Sicher etliche hatten mich liegen sehen, die durch den Park spaziert waren. Hoffentlich hatte ich nicht geschnarcht.
Wegen dem nächsten Termin war das Projekt Fitnessstrecke vorerst verschoben. Nach diesem Tag waren alle Abläufe klar.
Abends hatten es Andre, Jessi und Gabrietta geschafft, sich einen Platz in der Sporthalle zu ergattern. Ich hatte es zu spät erfahren und die Liste war voll, als ich mich noch eintragen wollte. Ich sah die beiden hübschen bei einem Rundgang durch den Park und um die Klinik in der Sporthalle Badminton spielen. Weil ich keine 12 Leute in der Halle zählen konnte, wollte ich nachfragen, ob ich mitmachen könne.
Vor der Tür kam mir aber schon Jessi entgegen, die sich nach wenigen Ballwechseln eine Zerrung in der Wade zugezogen hatte. Ich konnte ihren Platz einnehmen.
Wie zu erwarten war, geschah therapeutisch über Ostern nicht viel. Außer einer halben Stunde Sportmotorik am Samstag stand da immer nur Frühstück, Mittag- und Abendessen auf dem Plan. Deshalb habe ich die Zeit genutzt und mich an Karfreitag auf das Rad geschwungen.
Der Oker Stausee war mein Ziel. Mit Musik in den Ohren, ein paar Fotos und Telefonaten unterwegs und der Navigation hatte ich den Akku meines Handys bis zum Stausee komplett geleert und musste, nicht wie angedacht durch Wald und Feld, den Rückweg nach Beschilderung und Orientierungssinn teilweise entlang einer Straße, bewältigen. Dass der Brocken eine echte Herausforderung werden würde, wurde mir von meinem Körper auf dem Rückweg unmissverständlich klar gemacht und ich brauchte an einer kilometerlangen Steigung eine Pause. Immerhin wurde mir wieder mehr als warm, nachdem ich bergab fast erfroren wäre.
Das gute Wetter der letzten Tage war vorbei, es war deutlich kälter und die Sonne ließ sich nicht mehr blicken. Obwohl ich an einer ganz anderen Stelle wie geplant wieder den Berg erklommen hatte, schaffte ich es doch noch rechtzeitig zum Abendessen zurück, nachdem ich über die Felder ohne bösartige Steigungen zum Rehazentrum zurück gefunden hatte.
Mittlerweile hatte ich noch ein paar nette Menschen kennen gelernt. Leider trug die Bushaltestelle, von anderen auch Therapieraum 9 genannt, also der Raucherpavillon, dazu bei.
Gabrietta, selbst Nichtraucherin, meinte, die Raucher wären im Vorteil, weil wir viel schneller einander kennenlernen würden, weil einfach ein sozialer Treffpunkt bestand.
So war es leider auch. Ein Dilemma für das medizinische Personal. Einerseits waren alles freie Menschen, andererseits trug der Umstand der Begegnungsstätte, geradezu Corona-Zeiten, in denen man sich sonst nur in der Cafeteria, jeder an seinem eigenen Tisch, begegnen konnte, dazu bei, dass vermehrt geraucht wurde und das, obwohl es einige, ich selbst inbegriffen, es aus gesundheitlichen Gründen wirklich besser sein lassen sollten.
Die meisten Raucher waren psychosomatische Patienten, aber es gab natürlich auch unbelehrbare onkologische.
Unbelehrbar war und werde ich nicht. Den Gedanken in der Reha aufzuhören, hatte ich schon und hatte das bei meinen Reha-Zielen auch so formuliert. Aufhören zu rauchen und Gewicht um 10 Kilo reduzieren. Gut, die Ärztin hatte im ersten Gespräch meine Ziele der Realität näher gebracht und meine Gewichtsreduzierung auf 2 Kilo korrigiert. Aus 0 Zigaretten täglich hatte sie eine 10 gemacht, aber das war Unfug und ich hatte es ihr auch gesagt, dass es bei mir nur klappen könne, wenn ich gar nicht mehr rauchen würde.
Zwar hatte ich es zwischendurch geschafft, wenige Tage nur 3 Zigaretten zu rauchen, aber dann ist es mir selbst auf den Geist gegangen, nach einer Zigarette zu fragen, weil ich meine, sozusagen aus taktischen Gründen, Gabrietta gegeben hatte, damit ich nur nach den Mahlzeiten rauche. Das wurde aber schnell lästig, weil wir natürlich nicht immer in der gleichen Essensschicht waren.
Ihr Zimmer war fast am Ende eines langen Flurs und nachdem ich sie ein paar Mal vergeblich gesucht hatte, war mir schon klar, was sich die nette, in einer kleinen Nische Rommee spielende Damenrunde dachten und tuschelten. Ich denke, danach waren wir das Kurschattenduo.
Ausrede hin oder her, ein paar Tage später war ich wieder bei 10 oder mehr Zigaretten angekommen. Wenigstens hatte ich sportlich geraucht ;o) Während andere ihre Kippen immer bei sich hatten, hatte ich meine fast immer auf dem Zimmer gelassen. Wollte ich eine rauchen, musste ich immer erst 42 Stufen Treppen steigen. Den Aufzug hatte ich, außer mit Gepäck, keine 10-mal benutzt. Einen Vorrat hatte ich mir auch nicht angelegt und musste für jedes Päckchen nach Clausthal fahren oder laufen, was mich zum Zigarettenlieferanten gemacht hatte.
Einer war fast schon darauf erpicht, mich zu begleiten, wenn ich mit dem Auto fuhr. Nicht gut zu Fuß war er einfach froh, mal aus der Klinik heraus zu kommen. Wer einigermaßen gut laufen konnte, hatte ja schon die Möglichkeit, für ein paar Stunden durch die schöne Gegend zu wandern, zu walken oder zu spazieren. Die sonstigen Freizeitgestaltungen standen Corona bedingt ja leider nicht zur Verfügung.
Samstags bin ich mit Jessi nach Clausthal gelaufen. Wir wollten Zigaretten, Getränke und ein paar Kleinigkeiten kaufen und uns mal die Stadt ansehen. Außerdem hatte ich geplant, am Sonntag nach Hannover zu fahren, um eine Freundin aus der Hochgrat-Klinik zu besuchen, also brauchte ich einen Osterhasen oder ähnliches. Es war plötzlich garstig kalt für April, deshalb habe ich meine Winterjacke aus dem Auto geholt. Zum Glück hatte ich sie dabei. Janina hatte mich überzeugen müssen, sie mitzunehmen.
Nachdem wir die „blaue Kirche“ von außen bewundert, manches fotografiert und das Haus, in dem Robert Koch seine Jugend verbrachte, zufällig entdeckt hatten, machten wir das Einzige, was uns wegen Corona blieb. Eis essen. Ansonsten hätten wir nur noch einen Kaffee durch die Stadt tragen können. Alles war dicht. Die Fußgängerzone, übrigens die Einzige die ich kenne, durch die man mit dem Auto fahren darf (10 km/h) war bis auf zwei Eiscafés und einen Bäcker tot.
Es gibt Dinge, die muss man einmal im Leben gemacht haben. Zum Beispiel ein Eis essen und dabei versuchen, Schneeflocken mit dem Mund zu fangen. Jessi und ich hatten das erlebt. Sie sagte schon am Abend zuvor, dass es schneien solle, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Auf alle Fälle fielen die ersten Flocken, als wir unser Eis hatten.
Für den Abend hatte ich es erstmals geschafft, einen Platz in der Muckibude zu ergattern. Leider durfte ich nur die Geräte benutzen, an denen ich eine Einweisung bekommen hatte und war nach 40 Minuten mit allen Übungen fertig, obwohl ich 55 Minuten Zeit hatte. Ich brauchte also mehr Übungen, um die Zeit voll ausnutzen zu können, aber die Studenten, die abends die Aufsicht hatten, durften keine Einweisungen geben, sondern nur die Sporttherapeuten.
Am Ostersonntag hatte ich mich auf den Weg nach Hannover gemacht. Von Clausthal-Zellerfeld waren es nur noch knappe 100 km. Von zu Hause aus wäre mir die Strecke zu lang gewesen, aber da ich ohnehin in der Nähe war und außer Essen nichts auf dem Programmzettel stand, bot es sich einfach an.
Es war schön, Maike mal wieder zu sehen. Sie ist zwar in unserer Hochgrat-Klinik-Mutterschiff-WhatsApp-Gruppe, meldet sich aber ganz selten zu Wort. Trotzdem war sie voll auf dem Laufenden, was die Gruppe und meine Website und somit meinen Gesundheitszustand anging.
Wir waren ausgiebig an der Leine spazieren. So ein paar Kilometer konnten uns nicht schocken, wir waren auch im Allgäu schon zusammen den Alpseesteig und von Wolfsried zur Königsalpe und zurück gewandert, obwohl sie leicht gehbehindert ist und hatten uns viel zu erzählen.
Gut durchgefroren hatte ich mich später auf den Rückweg gemacht, obwohl es in Hannover immerhin 5° warm war. Wieder zurück im Oberharz war es knapp über dem Gefrierpunkt.
Seit Ostermontag ist mir klar, dass Ostereier bunt gefärbt werden, damit man sie im Schnee besser findet. Erst war es grau und nass, dann begann es zu schneien. Wintereinbruch.
Man konnte sich Spiele ausleihen. Zusammen mit Andre und Gabrietta hatten wir, bis Andre, der nicht verlieren konnte, die Lust verlor, in der Teeküche, so eine gab es in jedem Stockwerk, ein paar Runden Rummikub gespielt.
Zum Rauchen mussten wir jetzt durch den Schneesturm gehen. Im Pavillon wurde es eng. Der zweite, deutlich ruhigere Raucherplatz hatte ja, bei dem Wetter leider, kein Dach.