5. Zyklus / 3. Woche



Mittwoch, 28.10.2020


Die letzte Nacht war etwas besser als vorher und ich wurde nicht so oft von meinem Husten geweckt. Der ekelhaft schmeckende Hustensaft, die schleimlösenden Tabletten und das Einreiben der Brust, damit die Atemwege frei bleiben, scheinen endlich die erwünschte Wirkung zu haben und ich schlafe ein paar Stunden am Stück durch, bis um 5.30 Uhr die Herrlichkeit abrupt zu Ende ist.


Ich bekomme den Hustanfall meines Lebens. Es ist so schlimm, dass ich es mit der Angst zu tun bekomme, ich könnte ersticken, weil mir vor lauter husten kaum die Zeit bleibt, Luft zu holen. Mir wird wieder schwindelig, mein Kreislauf baut spürbar ab, die Stelle in meiner Bauchmuskulatur schmerzt auch übel und ich kann mich auf dem Weg zur Toilette, der Schleim muss ja irgendwo hin, kaum auf den Beinen halten. Das Drama dauert über eine halbe Stunde. Danach bin ich von der Anstrengung klatschnass geschwitzt.


Ich beschließe, mich nicht in eine Corona-Test-Warteschlange zu stellen und will zum Hausarzt gehen. Scheiß auf die 80 €, die es kosten soll. Ich kann es mir zwar wegen meiner angespannten finanziellen Situation eigentlich nicht leisten, aber es ist mir jetzt egal.


Ich beschließe, die Hausarztpraxis über die Rückseite, wo der Abstrich genommen werden soll, zu entern und werde nicht früher gehen, bevor ich meinen Hausarzt gesehen habe.


Nachdem ich auf der Rückseite keine Möglichkeit habe, mich bemerkbar zu machen, gehe ich doch in die Praxis.

Der Drachen ist heute zum Glück nicht in der Anmeldung. Ihre nette Kollegin ist zwar auch leicht geschockt, meint aber, da ich jetzt ja schon einmal drinnen sei, sie würde nachfragen und weist mir einen einzelnen Stuhl vor den Toiletten zu.


Dann läuft, nachdem sie mit meinem Hausarzt geredet hat, alles wie am Schnürchen. Wohl damit ich schnell wieder aus der Praxis rauskomme, bin ich gleich als nächstes an der Reihe. Er hört sich kurz an, was los ist, hört mich ab, meint, dass es an meinem geschwächten Immunsystem liegen kann, dass mein Körper es nicht alleine zu schaffen scheint, die deutlich hörbare Bronchitis zu besiegen und verschreibt mir Antibiotika.


Danach lotst er mich durch das leere Labor nach draußen, um den Abstrich zu machen, nachdem er sich mit der nötigen Schutzmaske und Handschuhen ausgerüstet hat.

Der Abstrich ist schon eine ekelhafte Sache. Erst bekomme ich einen Krampf im Kiefer. Als der wieder weg ist, bin ich kurz davor, brechen zu müssen, weil er mir tief im Rachen am Gaumenzäpfchen herumkitzelt.

Geschafft. Es kostet nicht einmal Geld.


Er sagt mir, dass sie gestern ein vierseitiges Schreiben bekommen haben, dass die Kosten für die Corona-Tests übernommen werden. Glück gehabt.

Wie lange es dauert, bis ich ein Ergebnis des Tests bekomme, kann er mir nicht genau sagen und ich soll mich am kommenden Montag melden, wenn ich bis dahin nichts gehört haben sollte. Nach nicht einmal zehn Minuten bin ich auf dem Weg zur Apotheke. Geht doch.


Zu Hause angekommen, nehme ich gleich um 10 Uhr die erste Tablette, damit ich die insgesamt 3 Tabletten täglich heute schon nehme. Ich hoffe, dass die Tabletten bis zur Nacht schon so weit helfen, dass ich nicht noch einmal einen solchen Hustanfall wie heute früh bekomme.


Total müde versuche ich wieder zu schreiben, aber an manchen Tagen klappt es einfach nicht so gut.


Nachdem ich gegen 17 Uhr die zweite Tablette Antibiotika genommen habe, halte ich einen dringend notwendigen Mittagsschlaf. Zwar werde ich wieder von meinem Husten geweckt, aber es ist bei weitem nicht mehr so ein langanhaltender Hustanfall.


Kurz darauf bekomme einen nicht erwarteten Anruf von meinem Hausarzt. Das Ergebnis ist schon da – Negativ!


Morgen kann ich es mir schriftlich abholen. Super, die hoffentlich letzte Chemotherapie meines Lebens kann nächste Woche also wie geplant stattfinden.


Die Nachrichten sind schockierend, obwohl man wegen der täglich stark ansteigenden Zahlen schon damit rechnen konnte. Ab kommenden Montag gibt es wieder einen Lockdown. Er wird zwar nicht so heftig wie im Frühjahr, aber bis auf Schulen, Kitas und den Einzelhandel unter Auflagen wird wieder alles dicht gemacht. Treffen im privaten Kreis sollen 10 Personen aus maximal zwei Haushalten nicht mehr überschreiten. Kneipen und Bars bleiben geschlossen, Hotelübernachtungen sind nur noch aus beruflichen Gründen möglich und sogar Gaststätten dürfen Essen nur noch zum Mitnehmen verkaufen.


Na toll, das haben die wenigen Idioten, die sich nicht an die Vorgaben gehalten haben, ja prima hinbekommen. Die Gesundheitsämter schaffen es nicht mehr, die Infektionsketten zurück zu verfolgen und bevor die Intensivstationen der Krankenhäuser überrannt werden, bleibt wohl keine andere Wahl.


Obwohl unsere Tanzalternative am Samstag vor dem neuen Lockdown stattfinden sollte, sagt Alex ab. Damit habe ich schon gerechnet, weil doch einige, ich zähle dazu, aus nachvollziehbaren Gründen nicht kommen wollten. Lehrer, Erzieherinnen, eine Altenpflegerin und ich als Krebspatient sollten wirklich nicht das Risiko einer Corona-Erkrankung eingehen, aber auch ein paar vom Rest haben Bedenken. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis die zweite Corona-Welle wieder flacher wird. Also muss ich wieder für mich alleine zu Hause im Wohnzimmer tanzen.


Mir fehlen meine sozialen Kontakte.


 

Donnerstag, 29.10.2020


Nachdem ich gegen 1 Uhr die dritte Tablette genommen habe, kann ich zwar nicht durchschlafen, aber die Hustunterbrechungen sind viel kürzer und ich schlafe relativ schnell wieder ein. Als ich endgültig wach werde, geht es mir etwas besser und ich habe das Gefühl, das schlimmste hinter mir zu haben.


Nach 8 Uhr, der Zeit für die nächste Ladung Antibiotika, mache ich mich auf den Weg, meinen negativen Corona-Befund abzuholen.


Bei Janina habe ich mich anscheinend revanchiert und sie wieder angesteckt oder sie hatte ihre Erkältung nicht wirklich auskuriert. Auf alle Fälle bleibt sie zu Hause und legt sich, nachdem sie im Büro angerufen hat, wieder ins Bett.


Ich nutze die Ruhe, hole endlich ein paar Seiten Tagebuch nach und sitze, bis ich wieder auf dem aktuellen Stand bin, vor dem Bildschirm und bin fleißig.

Bei dem Regenwetter kann man ohnehin außer lesen oder schreiben nichts tun.


 

Freitag, 30.10.2020


Es geht mir zwar etwas besser, von gut kann ich aber wirklich nicht reden.


Janina ist wieder arbeiten gegangen und ich sitze zur Abwechslung vor unserer Infrarotlampe, um die doch noch anfangende Stirnhöhlenentzündung zu bekämpfen.

Antibiotika habe ich ja schon und das Infrarotlicht hilft wirklich gut. Ich kann richtig hören, wie es im Nasen- Nebenhöhlenbereich ordentlich am Knacken ist. Schleimlöser darf ich nicht vergessen, damit die Nebenhöhlen nicht doch noch endgültig zugehen.


Bis kommenden Mittwoch muss ich wieder fit sein, damit der 6. Zyklus auch richtig wirken kann. Deshalb bleibe ich brav liegen, ziehe mir die Decke bis unter die Nase, beleuchte mich noch mehrmals mit der Infrarotlampe und halte den Schleim am Laufen.


 

Samstag, 31.10.2020


Die Radikalkur von gestern hat doch gut geholfen. Die Nase und die Nebenhöhlen scheinen frei zu werden, nur der Husten ist noch nicht weg, aber nicht mehr so böse wie in den letzten Tagen zuvor.


Weil ich mal wieder früh wach bin, habe ich, bis Janina aufsteht, schon die Zeitung gelesen, alle Sudoku- und Kreuzworträtsel gemacht, die Spülmaschine aus- und schmutziges Geschirr wieder eingeräumt.


Obwohl es mir wirklich besser geht, verbringe ich den Tag ähnlich wie gestern. Janina ist auch wieder auf dem Weg der Besserung.

Die Infrarotlampe benutzen wir heute beide.


 

Sonntag, 01.11.2020


Es geht mir wesentlich besser.

Die letzten beiden Tage Erkältungsintensivkur und Antibiotika haben wirklich geholfen. Es wird aber auch Zeit. Heute schlage ich mich schon zwei Wochen damit herum und ich mache mir schon Sorgen, dass das meine Chemotherapie negativ beeinflusst.


Obwohl es heute grau ist und dauernd mal ein Nieselregen einsetzt, machen wir uns mittags auf den Weg und gehen eine Runde spazieren. Weil ohnehin keine Sonne scheint, fahren wir in Richtung Waldlehrpfad, um von dort die im Bau befindlichen Windräder im Wald zu begutachten.


Die über zwei Kilometer schaffen wir beide einigermaßen gut, aber es reicht auch. Die letzten Meter zum Naturfreunde fahren wir dann doch mit dem Auto von Parkplatz zu Parkplatz.


Heute ist die letzte Gelegenheit, essen zu gehen, bevor man sich für vier Wochen höchsten wieder Essen zum Mitnehmen kaufen kann.


 

Montag, 02.11.2020


Ich habe die beste Nacht seit langem hinter mir und war nur zwei Mal kurz wach, habe also fast durchgeschlafen.


Mein Intervallfasten ist zwar gescheitert, weil ich wegen der vielen Erkältungsmedikamente doch nicht so spät gefrühstückt habe, trotzdem habe ich mein Gewicht auf 85 kg reduziert. Wenn ich meine Bauchmuskulatur durch die langen Hustanfälle nicht so extrem trainiert hätte, wäre es vielleicht noch ein Kilo weniger geworden, aber Muskeln sind nun mal schwerer als Fett.

Immerhin ist meine Hose nicht mehr so eng. Meinen Bauchumfang scheine ich reduziert zu haben.


Heute habe ich wieder, wie jeden Montag vor einem neuen Zyklus, einen Labort- und Arzttermin.


Meine Laborwerte sind absolut in Ordnung und Herr Dingeldein sagt, ich habe exzellente Aussichten, den Krebs zu besiegen. Jubel!!!


Exzellent klingt wirklich phantastisch.


Er will wegen meinem letzten Zyklus nur wissen, welches Antibiotika ich wegen meiner Erkältung verschrieben bekommen habe. Den Namen habe ich mir nicht gemerkt, aber es reicht ihm, wenn er es am Mittwoch erfährt.

Die lange Dauer meiner Erkältung kann wirklich am meinem stark gedrosselten Immunsystem liegen, aber das habe ich mir schon gedacht.


Nachdem ich schon mit Dr. Rieger darüber gesprochen habe, ob es ihm recht ist, wenn ich ihre Namen im Netz veröffentliche, frage ich heute auch Herrn Dingeldein.

Er ist grundsätzlich damit einverstanden, möchte die entsprechenden Stellen aber schon vorher lesen. Ich will ihm die Ausdrucke am Mittwoch mitbringen, damit er mir am Donnerstag sagen kann, ob ich ihre Namen ändern soll oder nicht.


Meine Reha soll erst, nachdem ich drei Wochen nach dem letzten Zyklus meine Antikörper-Infusionen erhalten habe, beginnen. Er ist der Meinung, dass ich wohl ab März 2021 wieder soweit hergestellt sein sollte, dass ich dann wieder arbeitsfähig bin.

Hoffentlich klappt das wegen Corona auch, einen Platz in einer Reha-Klinik zu bekommen, sonst verschiebt sich auch mein Wiedereinstieg in das Arbeitsleben.

Ein Ende meines finanziellen Desasters erscheint mir wie das Licht am Ende eines Tunnels. Als Single würde es mir sicherlich noch schlechter gehen.


Vor lauter Freude über meine Exzellenten Heilungschancen vergesse ich an der Anmeldung nach meinem Reha-Antrag zu fragen und fliehe förmlich aus der Praxis, um Janina darüber zu berichten.


 

Dienstag, 03.11.2020


Der Tag zieht sich dahin wie Honig und ich bekomme nicht viel auf die Reihe, obwohl ich mich dringend um mein Tagebuch, ich bin schon wieder fünf Tage im Rückstand und meine Website kümmern sollte, aber irgendwie ist heute nicht mein Tag.

Immerhin ist heute nach den letzten beiden Tabletten Schluss mit Antibiotika und bis auf ein gelegentliches leichtes Husten bin ich die blöde Erkältung endlich los. Das war mir vor dem letzten Zyklus auch wichtig, damit er auch richtig wirken kann.


CHEMO! CHEMO! CHEMO!


Vielleicht hat die Erkältung den letzten Zyklus etwas ausgebremst, weil auch die Nebenwirkungen nicht so schlimm waren, wie bei Zyklus 4, aber ich gehe fest davon aus, dass eventuell doch noch verbliebene Krebszellen ab morgen den Gar ausgemacht bekommen.