2. Zyklus / 2. Woche


Mittwoch 19.08.2020


Morgens schreibe ich erst mal ein paar Tage Tagebuch nach. Wenigstens habe ich jetzt nur noch 5 Tage Rückstand.


Mit Cara verabrede ich mich doch nicht zum Schwimmen. Super heiß ist es nicht, obwohl es meiner Meinung nach warm genug wäre.

Wir treffen uns stattdessen an der Fasanerie in Hanau / Klein-Auheim. Das liegt einigermaßen in der Mitte und wir können in dem Wildpark schlendern und reden.


Cara tut mir gut. Zwar habe ich zu ihr nicht so ein inniges Verhältnis wie zu Lilly, aber nachdem wir drei Stunden miteinander verbracht haben, sieht das schon anders aus.

Sie ist, außer optisch schon eine Schönheit, einfach eine ehrliche Haut, mit einer Lebenserfahrung im Bezug auf Krebs, die kein Mensch haben möchte. Sie ist mir deshalb auch mit ihren Erfahrungsberichten eine echte Hilfe.


Wir erzählen uns gegenseitig unsere Krankengeschichten, wobei meine viel kürzer, weil ja noch aktuell, ist. Wir erzählen uns unseren Lebenslauf und was uns in die Hochgratklinik verschlagen hat, wo wir uns kennen gelernt haben und vieles mehr.


Schade, dass der Mittag so schnell vorbei ist.

Cara muss los, um Freizeitstress zu vermeiden. Sie kommt aus dem Rhein-Main-Gebiet, wohnt aber schon seit einigen Jahren im tiefsten Bayern und ist in ihrer alten Heimat für eine Woche zu Besuch.

In der Zeit will sie natürlich möglichst viele Kontakte pflegen. Ich nenne das mal Stressurlaub und freue mich, dass das Treffen mit mir so weit vorne in ihrer Prioritätenliste steht.

Ein bisschen geschmeichelt fühle ich mich schon, als sie sagt, dass sie nicht alle treffen kann, die sie gerne sehen würde.


Es ist noch früh am Tag, wenn man keinen Freizeitstress hat und ich habe meine Schwimmsachen mitgenommen. Also lege ich auf dem Rückweg am See einen Zwischenstopp ein.


 

Donnerstag 20.08.2020


Es ist an der Zeit, die restlichen Tage in schriftliche Form zu bringen. Bis ich damit fertig bin, ist es schon Mittag vorbei. Egal. Ob ich es jetzt schaffe, täglich zu schreiben, damit ich nicht wieder so lange sitze?


Alex fährt mal wieder eine Tour quer durch den Odenwald (Alemannenweg) und hat Asyl für eine Nacht bei uns beantragt.

Wir gehen, bevor er kommt, in Roßdorf schwimmen. Dafür müssen wir uns online registrieren und haben ein dreistündiges Fenster, in dem wir Zutritt zum Schwimmbad bekommen. Nach ein paar Bahnen (300 Meter) ist für mich schon wieder Schluss, weil ich aufkommende Krämpfe spüre, kaum dass ich mal etwas schneller schwimme. Schon in der letzten Nacht bin ich deswegen mehrmals wach geworden und habe mir dabei Magnesiumdrinks gemacht, obwohl ich davor ja auch nur spaziert und etwas geschwommen bin. Irgendwie bin ich da anfällig geworden oder die Chemotherapie senkt als Nebenwirkung meinen Magnesiumspiegel.


Mist, unter 500 Meter mache ich mich normal nicht nass. Vor allem ist das Schwimmen schnell vorbei , sodass ich mich mit der noch schwimmfauleren Felicia in die Sonne lege, während Janina weiter schwimmt.

Das mit den Krämpfen muss ich zumindest so weit in den Griff bekommen, dass ich mindestens 10 zügige Bahnen schwimmen oder 10km Rad fahren kann. Zu Hause gibt es erstmal eine Ladung Magnesiumdrink.


Erst haben wir gehofft, Alex würde nicht so spät kommen, weil wir Hunger haben, es macht jetzt aber nichts aus, dass er etwas später kommt, weil bei unserem Mexikaner keine Platzreservierung gemacht wird. Wir sollen um 20 Uhr kommen. Das geht natürlich erstmal in die Hose und wir müssen uns nach drinnen setzen, bis draußen ein Platz frei wird.

Später sitzen wir auf unserer Terrasse. Wenn mir meine Krankheit nicht dazwischengefunkt hätte, wäre ich in den vergangenen Wochen sicher auch viel mit dem Rad unterwegs gewesen und hätte manche Mountainbike Strecke mitgemacht, aber das was Alex jetzt macht, wäre mir doch zu viel.

Ich habe ihn auf den Geschmack gebracht, mal keinen Rundkurs, sondern eine Strecke mit einem Ziel zu fahren. Wanderwege hatte ich damit natürlich nicht gemein, aber er trägt sein Rad wohl auch mal gerne durchs Felsenmeer oder über andere steile Berge, die man nicht mal bergab fahren kann. Wenn’s schee macht.


 

Freitag, 21.08.2020


Der 8.30 Uhr Labortermin ist erwartungsgemäß schnell gelaufen und wir frühstücken bald ausgiebig. Mein Geschmackssinn ist wirklich nicht mehr der Beste, aber das ist nicht so schlimm, ich esse einfach Geschmacksintensives wie Käse und Wurst mit Senf.


Ich werde das Gefühl nicht los, dass mein Magen anfängt, zu rebellieren. Nach dem Schlucken habe ich auf dem letzten Stück Speiseröhre und wenn das Essen im Magen landet ein eigenartiges Druckgefühl, dass ich hier nicht besser beschreiben kann. Es ist kurz danach auch gleich wieder weg, blöd ist es trotzdem.

Meine Magentabletten habe ich nach dem zweiten Zyklus mit den Kortison Tabletten wieder abgesetzt, weil mir bisher nicht schlecht geworden ist. Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt.


Alex mach sich wieder auf seinen Alemannenweg.


Ich bin zwischendurch mal fleißig und am Nachmittag gehen wir zu dritt noch einmal an den Königsee schwimmen. Das passt gut. Die Zehnerkarte ist zum Saisonende aufgebraucht. Ich glaube nicht, dass noch einmal Schwimmwetter ist, wenn wir von unserem geplanten Kurzurlaub zurück sind.

Am Abend fühle ich mich nach dem Essen so bescheiden, dass ich mich dazu entschließe, am nächsten Tag wieder die Magentabletten zu nehmen.


 

Samstag, 22.08.2020


Um 10 Uhr sind wir mit den Vermietern des Wohnmobils, das wir uns über Raul Tramper ausgesucht haben, verabredet. Nette Leute in unserem Alter von denen wir Knut, das Wohnmobil, mieten.

Bevor wir uns das Wohnmobil ansehen, gibt´s erst mal einen Kaffee. Sonja und Markus zeigen uns dann alles, was man bei der Benutzung von Knut beachten muss. Wir hätten nicht gedacht, dass das wirklich so lange dauert, als Sonja am Telefon sagte, das würde schon so zwei Stunden in Anspruch nehmen, aber sie wusste wohl, wovon sie redet. Für Neulinge wie uns, die zum ersten Mal ein Wohnmobil nutzen, ist das auch besser so und ich habe die Befürchtung, manches wieder zu vergessen.


Das absolute Highlight ist ein Gasgrill, der sicher schon Jahrzehnte hinter sich hat. Zusammengefaltet passt er in einen kleinen Koffer und in einer etwas größeren Tupperdose ist das restliche Zubehör. Wenn man den Gasgrill aufbaut, hat man einen Grill mit Rost, elektrischem Drehspieß und zwei Kochplatten – ein Wunderwerk.


Wir freuen uns wie kleine Kinder auf diesen Urlaub. Einen Stellplatz am Reiseziel Plauer See (Mecklenburgische Seenplatte) haben wir uns auch schon gesichert und bezahlt. Am Dienstag wollten wir starten.

Nachdem wir von der Wohnmobilbesichtigung zurück sind, nehme ich brav meine Magentabletten, nachdem mir der Kaffee bei Sonja und Markus zu schaffen gemacht hat. Er war sicher gut, aber irgendwie merke ich schon, dass heute der berüchtigte zehnte Tag nach der Chemotherapie ist.


Am Abend sehen wir uns die Wettervorhersage an und machen uns Sorgen. Ein Regengebiet mir Sturm soll sich im Norddeutschen Raum breit machen. Das wird uns doch wohl nicht den Urlaub verregnen?


 

Sonntag, 23.08.2020


Die Wettervorhersage macht uns immer mehr Sorgen und wir machen uns Gedanken, ob wir überhaupt in diese Richtung fahren sollen.

Alex kommt auf seinem Weg nach Darmstadt auf einen Kaffee vorbei, will natürlich alles über unser Wohnmobil wissen und ist, nachdem er sich die Wetterprognose angesehen hat, auch der Meinung, dass für unseren geplanten Campingurlaub die Himmelsrichtung nicht mehr stimmt. Kurze Zeit später entscheiden wir uns, in Richtung Süden nach Frankreich zu fahren.


Diego der alte Camper hat zum Glück auch einige Tipps, wohin in Richtung Süden wir fahren können und wir sind einige Zeit damit beschäftigt, nach Campingplätzen zu suchen und nachzufragen, ob noch Stellplätze für uns frei sind.


Janinas Sohn Vincent und Loretta kommen zu Besuch und wir grillen viele Leckereien, von denen mir ein Teil leider nicht oder sonderbar schmeckt. Fisch ist ok, Fleisch eher nicht so. Den Nudelsalat muss ich ordentlich nachwürzen, dann geht auch der, obwohl ich ihn sicher versalzen habe.


 

Montag, 24.08.2020


Wie schon beim ersten Zyklus, so soll ich auch jetzt wieder vor und nach dem Wochenende Blut abgeben. Alles scheint so weit im Lot zu sein. Wären meine Blutwerte vom Freitag außer der Norm gewesen, hätte ich es heute sicher erfahren.

Es geht mir gut. Zuhause angekommen beschließe ich, die Magentablette wieder abzusetzen und nehme keine. Mal sehen, wie sich das entwickelt.


Von Diego sind noch ein paar Tipps angekommen. Ziel bleibt aber sein erster Vorschlag. Wir splitten die Strecke nur. Für einen Tag wäre uns das zu hektisch. Es soll ja Urlaub sein.

Die Vermieter von Knut informieren wir, dass wir heute doch nicht, wie vereinbart, bei ihnen das Wohnmobil bepacken, sondern es am nächsten Morgen holen und das bei uns vor dem Haus machen wollen, weil sich unsere Reiserichtung geändert hat.


Unser Nachbar Michael leiht uns seinen Fahrradgepäckträger aus und erklärt mir kurz, wie man das Ding an der Anhängerkupplung und die Fahrräder darauf befestigt.


Der Geschmackssinn hat sich wieder verbessert und ich habe die Hoffnung, essen zu können wie Gott in Frankreich.


 

Dienstag, 25.08.2020


Ich bin früh aufgestanden, um Knut, unser Wohnmobil, abzuholen. Trotzdem ist es schon etwas spät, weil ich noch an der Tankstelle halt machen muss, um Geld abzuheben. Nur Bares ist wahres.

 

Nach einer kurzen Erinnerungseinweisung, beantworteter Fragen und der Erledigung der Formalitäten bin ich mit der erschreckend langsamen Gurke gegen 9 Uhr zu Hause angekommen.


Das große Beladen fängt an. Also nicht nur, wie bei einer Flugreise, Koffer und Handgepäck packen, sondern auch Fahrradgepäckträger samt Rädern befestigen, Lebensmittel und das übliche Gepäck in den Stauräumen verfrachten etc.

Jetzt nur noch mal schnell duschen, einen Ersatzfahrradschlauch besorgen und wir haben es endlich geschafft. Abreise 11.50 Uhr, viel später als gedacht.


Mehr als 110 km/h gibt unsere rollende Wohnung leider nicht her und macht dabei jede Menge Krach. LKW zu überholen ist ein kleines Abenteuer. Jedes Mal, wenn man an einem vorbei ist, ändert sich die Windrichtung und man merkt deutlich das Alter der Stoßdämpfer. Man ist ständig damit beschäftigt, das Ding in der Spur zu halten. Entspannung fällt beim Fahren leider erst mal aus.


Vor Karlsruhe wechseln wir. Janina will auch einmal fahren und ich bin nicht unbedingt scharf darauf, die ganze Strecke alleine zu meistern. Vor der französischen Grenze hinter Freiburg ist der Tank nach 250 km halb leer und wir fahren von der Autobahn zum tanken, um Geld zu sparen. Janina kommt mit den Abmessungen von Knut nicht so gut klar und rumpelt über einen Bordstein; solange es nur ein solcher ist. Trotzdem fahre ich nach dem Tanken wieder. Janina hat mir zu viele Hemmungen beim Spurwechsel und überholen und fährt für meinen Geschmack zu lange hinter LKWs hinterher. Nach einem Umweg von 20 km sind wir wieder auf der Autobahn, um kurz danach festzustellen, dass doch noch ein Autohof vor der Grenze kommt.


Endlich Frankreich, Bourg en Bress sollte eigentlich unser Etappenziel sein, aber dafür sind wir zu spät gestartet. Nach der A 36 bis Dole und einem Stück A 39 Richtung Lyon ist es an der Zeit sich nach einem Campingplatz umzusehen. Bei den meisten soll man spätestens um 19 Uhr da sein. Wenige Kilometer neben der Autobahn finden wir einen südlich von Dole. Er ist nicht der Hammer, aber wir haben einen Platz mit Strom und saubere sanitäre Anlagen.

Wir schließen unser Wohnmobil an den Strom an und packen nur das nötigste, Tisch und Stühle, um etwas zu essen, aus. Zum Frühstück haben wir uns erst mal standesgemäß, weil wir ja nun in Frankreich sind, Croissants und ein Baguette bestellt.


Janina hat die Faxen dicke und will nicht mehr so lange fahren; müssen wir aber, wenn wir in die Cevennen wollen, also spätestens um 9 Uhr Abfahrt. Die Maut haben wir klar unterschätzt. Wir haben schon über 20 € bezahlt und sind noch lange nicht da.


Vor lauter orientieren, fahren, LKW überholen, konzentrieren, diskutieren, Campingplatz suchen und finden, habe ich meine Erkrankung an dem Tag völlig vergessen, weil ich auch frei von jeglichen Nebenwirkungen bin.


Mein positives Denken scheint zu fruchten.